Vortrag vom 11. November 2021 von Dr. Wolfgang Havener (Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik Universität Heidelberg): "Erinnerungsorte im römischen Griechenland"

Foto Archiv Halbedl
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Am 11.11.2021 um 18.15 Uhr fand unser erster Hybridvortag, also in Präsenz mit gleichzeitiger Übertragung ins Internet, in Kooperation mit dem Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik der Universität Heidelberg und dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Universität Heidelberg im Hörsaal 513, Marstallhof 4 in Heidelberg unter Einhaltung der Corona-Regeln (3G-Regel mit PCR-Test/Maskenpflicht) statt. Herr Dr. Wolfgang Havener (Universität Heidelberg) hielt einen Vortrag aus dem thematischen Umfeld seines Habilitationsprojektes über Erinnerungsorte und Vergangenheitskonstruktionen mit dem Titel "Erinnerungsorte im römischen Griechenland".

Die Begrüßung und Einführung erfolgte durch Dr. Karl-Heinz Halbedl, die Vorstellung des Vereins ArchaeNova e. V. durch Herrn Fabian Simon Zink und die Vorstellung des Referenten durch Prof. Dr. Christian Witschel (Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik der Universität Heidelberg).

Dr. Wolfgang Havener (Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik der Universität Heidelberg) ging zuerst auf das von Pausanias (Perieget (Reiseschriftsteller)/2. Jh. n. Chr.) überlieferte Bild der Geschichtsauffassung und Geschichtsinterpretation der Megarer (u. a. Paus. 1,40, 1-5) als erläuterndes Beispiel für die Erklärung und Dimension des Begriffs "Erinnerungsort" (franz. lieu de mémoire) ein. Letzterer Begriff wurde von dem französischen Historiker Pierre Nora in den 80iger Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt.

Pausanias (Megara):

Nach Pausanias hätten die Megarer (Bewohner der griechischen Stadt Megara und der Landschaft Megaris) eine eigene, aber zu misstrauende "Version der Geschichte". Sie würden beispielsweise als einzige der Griechen behaupten, dass der Leichnam der Ino, welche sich vor ihrem dem Wahnsinn verfallenen Mann Athamas zusammen mit ihrem Sohn Melikertes ins Meer gestürzt hatte, an der Küste von Megara angetrieben worden sei. Sie hätten auch – wie Pausanias an anderer Stelle überliefert – eine eigene, nach Pausanias falsche Version ihrer mythischen Vorgeschichte, wie der Vergleich mit den Stammbäumen des Theseus und anderer mythischer Heroen zeige.

Danach brachten die Megarer, wie es in der römischen Kaiserzeit üblich war, Mythen und die damit verbundenen mythischen und historischen Persönlichkeiten in Verbin-dung mit ihrer Stadt und Gemeinschaft (Erinnerungskultur). Das Gleiche galt allgemein auch für "Großtaten der Vergan-genheit". Festgemacht wurde solch eine Verbindung mit "Mythen, Geschichten und Erinnerungen" auch an Monu-menten und Orten. Diese führten den Menschen die "Ver-gangenheit in der Gegenwart" vor Augen und machten diese so erfahrbar. So erwähnt Pausanias (1, 40, 1-5) einen von dem Tyrannen Theagenes (letztes Viertel des 7. Jh. v. Chr.) in Megara erbauten großen, auch aus Säulen bestehenden Brunnen mit nach den sieben sithnidischen Nymphen benannten Wasser.

Eine der von den Megarern als einheimisch bezeichneten sieben sithnidischen Nymphen war die Mutter des Zeus-sohnes Megaros, welcher sich bei der deukalischen Flut schwimmend dem Geschrei fliegender Kraniche folgend auf die Spitze des nach dem Geschrei der Kraniche benannten Geraniagebirge rettete. Dem der Göttin Artemis durch die Megarer zugeschriebenen Sieg 480/479 v. Chr. über unter dem persischen Feldherrn Mardonios in die Megaris einge-fallenen Perser ist das Bronzebild der Artemis Soteira (der Retterin) in einem Tempel geweiht, in dem auch zur Zeit des Pausanias Statuen römischer Kaiser standen. Im Olympieion (Zeustempel), dessen Zeusstatue wegen des Peloponnesischen Krieges (431 – 404 v. Chr.) unvollendet blieb, liegt nach Pausanias ein bronzener, laut den Megarern von den Athenern beim für die Megarer siegreichen Kampf um die Insel Salamis eroberter athenischer  Schiffsrammsporn (Trierensporn). Den zeitweisen Besitz von Salamis durch die Megarer würden die Athener laut Pausanias einräumen, doch hätten die Athener durch die Elegien des Solon ange-spornt Salamis wieder erobert. Nach der Version von Megara hätten zu den Ansiedlern nach Salamis gekommene Flüchtlinge (Dorykleer) die Insel an Athen verraten. Soweit nach Pausanias.


Foto Archiv Halbedl
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Pausanias schildert als Reiseschriftsteller somit Megara "als Erinnerungs-landschaft" mit besonderen Orten und Monumenten, die auch für die Einwohner der Megaris Erinnerungsorte waren, da er sie nicht nur aus eigener Anschauung erfuhr, sondern auch aus Erzählungen der Einheimi-schen kennen lernte. Der nicht scharf definierte Begriff Erinnerungsort (franz. lieu de mémoire (Pierre Nora)) kann alles bezeichnen, an dem sich "ein kollektives Gedächtnis einer größeren sozialen Einheit" zeigen und ausbilden kann. Erinnerungsort kann somit ein geographischer Ort, ein Buch, ein Gebäude, ein Symbol, eine Institution, eine mythische Gestalt, Menschen, ein Kunstwerk, ein Begriff, ein Ereignis, eine mythische Gestalt, eine Institution, ein Begriff etc. sein. Es geht bei der Beschäftigung mit Erinnerungsorten besonders um die Frage der Entstehung und Funktionsweise von "kollek-tivem Erinnern", die Art des Umgangs mit der Vergangenheit und die "Bedeu-tung von Formen von Erinnerung für die Konstruktion von Gruppeniden-titäten".

So wird in den oben angeführten paraphrasierten Pausaniaspassagen das Brunnenhaus von Megara mit dem in seiner Zeit international vernetzten megarischen Tyrannen Theagenes (letztes Viertel des 7. Jh v. Chr.) verbun-den, indem man diesem die Erbauung des Brunnenhauses zuschrieb. Durch die Überlieferung in anderen nichtmegarischen Quellen als Kämpfer des Volkes gegen die Grundbesitzer und die überlieferte Zubilligung einer Leibgarde durch das Volk nimmt er die typische Tyrannenrolle ein, wie sie im kollektiven Gedächtnis der Griechen erscheint.

Eine weitere Verbindung zur Vergangenheit, des Besitzanspruches auf das Land und der Kontinuität der Einwohner der Megaris wird über das Brunnenhaus vermittelt. Eine der darin wohnenden sithnidischen Nymphen war die Mutter des Zeussohnes Megaros. Dieser Megaros rettete sich in der deukalischen Flut auf das westlich von Megara liegende Garaniagebirge, und im Rahmen dieser Episode erhielt das Garaniagebirge seinen Namen.

Foto Archiv Halbedl
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Die mit dem Tempel der Artemis Soteira und des Zeus geschildeten Episoden verbinden zum einen Megara mit der sogenannten großen griechischen Geschichte, nämlich den Perserkriegen und dem Peloponnesischen Krieg, und stellen im Rahmen dieser Kriege Episo-den vor, in denen die Bewohner von Megara eine herausragende Rolle spielen, wohl um die Bedeutung Megaras und seiner Bewohner sogar in der großen Geschichte für sich und gegenüber anderen hervorzuheben. Möglicherweise ist es sogar ein Versuch, sich in die "panhellenische Erinnerung einzuschreiben".

Die mit dem im Zeustempel aufgestellten erbeuteten athenischen Schiffssporn geschilderten verschiedenen Versionen der Ereignisse um Salamis zeigen die athenische-megarische Rivalität, auch um die Deutungshoheit von Geschichte, auf und steht beispielhaft für solche Rivalitäten um die Deutungshoheit von Geschichte.

Die Erwähnung, dass im Tempel der Artemis Soteira zur Zeit des Pausanias Statuen römischer Kaiser aufgestellt waren, veranschaulicht, dass Erinnerungsorte einem Wandel unterworfen sein können bzw. wandelbar und veränderbar auch in ihrer Interpretation und des mit ihnen verbundenen Geschichtsbildes sind. Das kann durch Steuerung, Instrumentalisierung oder Manipulation geschehen. Es besteht folglich die Möglichkeit, sich in den "Prozess der Generierung kollektiver Erinne-rung" und "in die Erinnerung selbst einzuschreiben".

Fallstudien:

Wie Erinnerung und Vergangenheit im kaiserzeitlichen Griechenland konstruiert und solche Konstruktionen besonders von den urbanen Eliten für ihre Zwecke unter Berücksichtigung ihrer möglichen Motive genutzt wurden (Habilitationsprojekt), wurde im Folgenden von Herrn Dr. Wolfgang Havener anhand von zwei Fallstudien, anhand der Parthenon-Inschrift auf der Akropolis von Athen und Befunden und Nachrichten bezüglich des Heiligtums des Poseidon am Isthmos von Korinth deutlich zu machen versucht.

Parthenon-Inschrift (Akropolis von Athen) (erste Fallstudie):

Die einst am Parthenon angebrachte sogenannte, 1895 anhand der Dübellöcher der Buchstaben rekonstruierte Parthenon-Inschrift (IG II2 3277), eine Ehreninschrift für den römischen Kaiser Nero (54 – 68 n. Chr.), war einst auf der Akropolis von Athen zu lesen, einem Erinnerungsort par excellence, dessen Bauten, Monumente, Statuen etc. mit wichtigen Geschehnissen der athenischen und gesamtgriechischen Geschichte verbunden sind. Anhand dieser Inschrift soll die "Instrumentalisierung von Vergangenheitsbezügen" veranschaulicht werden. Wichtig ist, dass die Inschrift wohl mit vergoldeten Bronzebuchstaben an einem der berühmtesten, wenn nicht dem berühmtesten Gebäude der Akropolis von Athen, dem weit über Athen bekann-ten besondere Aufmerksamkeit erregenden Parthenon-Tempel, angebracht war. Jede persönliche Verbindung mit solch einem berühmten Monument auf der an sich schon sehr prominenten Akropolis mehrt die Bedeutung, die Bekanntheit und das Prestige der betreffenden Person, lenkt die Aufmerksamkeit auf diese Person und erhebt diese weit über andere Menschen.

Einstiger Anbringungsort der Parthenon-Inschrift (Nach Foto Archiv Havener)
Einstiger Anbringungsort der Parthenon-Inschrift (Nach Foto Archiv Havener)

Die Inschrift ist unter dem Giebel mit der Darstellung der Geburt der Athena, genauer unter den Triglyphen (Platten mit Furchen) "in Feldern mit jeweils drei Zeilen" "in den Zwischenräumen zwischen den von Alexander dem Großen (356 – 323 v. Chr.) nach der Schlacht am Granikos (334 v. Chr.) Athen geweihten" und zum Teil dort einst aufgehängten Schilden des aus Metopen und Triglyphen bestehenden Frieses am Architrav (auf den Säulen ruhendes Gebälk/Balken) angebracht, wobei auf den Metopen des Frieses der symbolträchtige Kampf der Gigan-ten gegen die griechischen Götter dargestellt ist. Beim Lesen der Inschrift musste man über die Schilder hinweglesen und diese dabei automatisch einbeziehen.

 

Wichtig für die Ausführungen von Herrn Dr. Wolfgang Havener waren die auf der Inschrift genannten Namen. Der Römische Kaiser Nero (54 – 68 n. Chr.), dann die in der Datierungsformel genannten Athenapriesterin Paulleina und der auch ander-weitig aus Inschriften bekannte Hoplitenstratege Tiberius Claudius Novius. Die Nennung des lebenslang verliehenen Amtes der Athenapriesterin und das zwar jährlich vergebene, aber nicht zur Jahresbenennung genutzte, für Athen mehrmals be-kleidbare wichtige politische Amt des Hoplitenstrategen können aber wenig zur genaueren Datierung der Inschrift beitragen.

Die Inschrift könnte eine Ehreninschrift für eine vor oder im Parthenon aufgestellte Ehrenstatue des Nero sein (Andrews), eine unwahrscheinliche Weihung des Parthenon an Kaiser Nero belegen oder, nach Dr. Wolfgang Havener am wahrschein-lichsten, die Zusammenfassung eines für "Nero beschlossenen Ehrendekretes" sein, welches wohl ausführlich auf einer im Bereich des Parthenons aufgestellten Stele stand (Caroll 1982). Letzteres geschah laut Caroll (1982) im Rahmen der zuneh-menden Spannungen bezüglich Armeniens zwischen Rom und den Parthern, in denen auch Athen für Rom Stellung beziehen wollte. Des Weiteren wollte Athen durch die Anbringung der Inschrift am Parthenon seine Loyalität gegenüber dem Kaiser und Rom für deren zu erwartenden Dank oder einem anderen Vorteil zeigen, indem sie den Kaiser Nero an einem der wichtigsten Erinnerungsorte der Perserkriege, eine Gedenkstätte für athenische und panhellenische Sieghaftigkeit, eine Ehreninschrift setzten.

Zu Tiberius Claudius Novius:

Erschlossener Text der Parthenon-Inschrift mit Übersetzung
Erschlossener Text der Parthenon-Inschrift mit Übersetzung

Der durch seine Namenserwähnung auf der Parthenon-Inschrift besonders herausgehobene und durch mehrere Inschriften (Weih-, Bau- und Ehreninschriften) gut bezeugte athenische Politiker Tiberius Claudius Novius, welcher im Laufe seines Lebens viele athenische Ämter bekleidete, konnte im Gegensatz zu anderen athenischen Politikern sei-ner Zeit auf keine ruhmreiche Familie zurückblicken. Ihm fehlte der Bezug auf eine ruhmreiche Familie mit Bezie-hungen als wichtige Mittel, um sich im Konkurrenzkampf um die Priester- und Magistratsämter in Athen durchsetzen zu können.

Diesen Nachteil glich Novius wohl dadurch aus, dass er Ver-gangenheitsbezüge mit seiner Person in innovativer Weise anwandte.

Die Nennung der achtmaligen Bekleidung des in Athen wichtigen (Ämterhäufung) und seine Beliebtheit zeigende (acht Mal gewählt (Prestigezuwachs)) zivile Hoplitenstrate-genamt auf der Parthenoninschrift knüpfte als letztes Rudiment des für Krieg und Militär zuständigen 10-köpfigen Strategen- kollegiums auch durch seinen Namen an die ruhmreiche und siegreiche Vergangenheit Athens an. Es brachte somit auch Novius in Beziehung - sogar in achtfache Beziehung - zu dieser ruhmreichen Vergangenheit.

"Athen, Dionysos-Theater (Foto Archiv Havener)
"Athen, Dionysos-Theater (Foto Archiv Havener)

Des Weiteren brachte er sich in Position, um sich gegen seine aristokratische Konkurrenz um Prestige und Ämter durchzusetzen, indem er sich mit mit athenischen Groß-leistungen verbundenen Erinnerungsorten in Verbindung brachte. So ist Novius außer als Hoplitenstratege am Parthenon als Priester für Nero und Zeus Eleutherios und als Sieger des Waffenlaufs im Rahmen der Eleutherien in dem wichtigen Erinnerungsort für die Perserkriege Plataiai belegt. Möglicherweise ist er noch zusätzlich mit dem am Südhang der Akropolis liegenden berühmten Dionysostheater, welches gleichzeitig auch ein wichtiger Selbstdarstellungs-ort der athenischen Elite war, in Verbindung zu bringen. Zudem wurde durch das Auftreten seines Namens neben dem Kaiser seine Kaisernähe auch der athenischen Aristo-kratie gegenüber, und damit noch mehr seine hervorgeho-bene Stellung demonstriert. Dies alles könnte den Neid oder die Missgunst zumindest von Teilen der aristokratischen Elite Athens hervorgerufen haben (Überschreiten einer Grenze im aristokratischen Konkurrenzkampf durch Novius?), so dass nicht nur nach 68 n. Chr. der Name des der damnatio memoriae (Tilgung des Andenkens) verfallenen römischen Kaisers Nero, sondern möglicherweise auch der des Tiberius Claudius Novius und der Paulleina – von der wir fast nichts wissen - getilgt wurde. Auf jeden Fall könnte die Situation der damnatio memoriae des Nero von Teilen der athenischen Elite genutzt worden sein, um einen innerathenischen Kon-kurrenten um Prestige und Macht auszuschalten. Auf eine gleichzeitige Entfernung der Inschriftenbuchstaben lässt jedenfalls das Fehlen jeglicher Witterungsspuren an den Dübellöchern und der Umstand, dass normalerweise im Falle der damnatio memoriae meist nur der Name des Betroffenen getilgt wurde, schließen.

Heiligtum des Poseidon am Isthmos von Korinth (zweites Fallstudie):

"Korinth, Apollon-Tempel und Akrokorinth im Hintergrund (Foto Archiv Havener)
"Korinth, Apollon-Tempel und Akrokorinth im Hintergrund (Foto Archiv Havener)

In dieser Fallstudie hat sich – wie inschriftlich belegt (wohl 2. Jh. n. Chr. (Chaniotis)) – ein gewisser Publius Licinius Priscus Iuventianus mit einem der vier wichtigsten der panhellenischen Spiele, den Isthmischen Spielen, in Verbin-dung gebracht, welche seit ca. 44 v. Chr. (Gründungsjahr der römischen Kolonie Korinth Colonia Laus Julia Corinthus) wieder von Korinth verwaltet wurden. Er investierte dort nämlich auch beträcht-liche eigene finanzielle Mittel, in dem am Isthmos von Korinth gelegenen Heiligtum des Poseidon, der für das römische Korinth mit der wichtigste Erinnerungsort und wichtige Bühne der Selbstdarstellung für die korinthische Elite, wo die berühmten panhellenischen Spiele, die sogenannten Isthmischen Spiele abgehalten wurden. Er ließ dort Bauten, Infrastruktur, Statuen und Altäre errichten und teilweise restaurieren. Auch richtete er Unterkünfte für Athleten ein. Dadurch, besonders aber, da er das Palaimonion (zweiter Tempel (wohl erbaut 160iger Jahre des 2. Jh. n. Chr.)) errichten ließ, brachte er sich in Verbindung mit Sisyphos, einem mythischen Begründer der Isthmischen Spiele. Iuventianus stellte sich somit in die Tradition des mythischen Begründers der Isthmischen Spiele, des korinthischen Königs Sisyphos, und inszenierte sich so auch durch seine anderen Bauvorhaben und Aktivitäten im Poseidonheiligtum als eine Art neuer Begründer - zumindest Förderer der Isthmischen Spiele.

Palaimonion (Foto Archiv Havener)
Palaimonion (Foto Archiv Havener)

Das Palaimonion ist der Tempel für Palaimon-Melikertes über dem angeblichen Grab des Palaimon-Melikertes (Zentrum eines beliebten Mysterienkultes in der römischen Kaiserzeit) und damit eine Anknüpfung an eine andere Variante des oben in der Version von Megara grob geschil-derten Ino-Melikertes-Mythos. Der tote Melikertes war in dieser Version von einem Delphin an den Isthmos gebracht worden und wurde dort von dem korinthischen König Sisyphos gefunden und begraben. Diesem zu Ehren begrün-dete Sisyphos dann die Isthmischen Spiele. Melikertes wurde laut Mythos vergöttlicht zu einem Meergott mit dem Namen Palaimon (Schutzgott der Häfen). Der Ino-Melikertes- bzw. Leukothea-Palaimon-Mythos hatte in Korinth in der römischen Kaiserzeit sehr große Bedeutung, da er ein beliebtes Motiv der korinthischen Münzprägung war. Sogar das Palaimonion wurde auf Münzen abgebildet.

Die Inszenierung des Iuventianus als zweiter Sisyphos könnte auch durch drei, zwei in Isthmia und eine in Neukorinth gefundenen Statuenbasen mit den Namen Iuventianus, Sisyphos und Plastos unterstützt werden (Torelli 2010), welcher durch ihre gleichartige "Materialbeschaffenheit und der Schriftform" als zueinander gehörig betrachtet werden. Falls es sich bei dem genannten Iuventianus um Publius Licinius Priscus Iuventianus handelt und bei dem aufgeführten Sisyphos um den mythischen Gründer Korinths und der Isthmischen Spiele handeln soll - über den Seher Plastos ist nichts bekannt –, so könnte die Kombination der drei Statuen bzw. Statuenbasen laut Mario Torelli (2010) dafür sprechen, dass Iuventianus sich als "neuer Sisyphos und zweiter Gründer der Isthmischen Spiele" darstellen wollte.

 

Das Andocken an den mythischen Gründer von Korinth und der Isthmischen Spiele Sisyphos ist für die Zeit der römische Kolonie Korinth selten. Auch spielte die Verehrung des Sisyphos und damit die Erinnerung an diesen offenbar für die "Außendarstellung" des römischen Korinths und "ihrer Elite" keine große Rolle. Iuventianus hat diese vernachlässigte Ressource der Selbsterhöhungsmöglichkeit versucht, für eine besondere, sich von anderen unterscheidende Selbstdar-stellung zu nutzen.

Agonothet:

 

Des Weiteren hat sich Iuventianus als sogenannter Agonothet (eponymes Amt im Rahmen der Siegerlisten), das heißt als Ausrichter der Isthmischen Spiele und der damit verbundenen Spiele zu Ehren der römischen Kaiser (Kaisareia/sportliche und musische Wettkämpfe und der religiösen Elemente des Festes), mit diesem Erinnerungsort verbunden. Im Rahmen dieses prestigeträchtigsten Amtes von Korinth führte er sein Bauprogramm durch. Das Amt des Agonotheten ist auch von anderen Mitgliedern der lokalen Elite Korinths im Laufe der Jahrhunderte bekleidet worden, die dadurch ihr Sozialprestige steigerten. Eine Möglichkeit, neben etlichen anderen Alternativen, sich als Agonothet gegenüber seinen Amtsvorgängern hervorzuheben, war die mehrmalige Bekleidung des wohl finanziell sehr aufwendigen Amtes. Iuventianus wählte eine andere Möglichkeit. Er versuchte, sich durch sein Bauprogramm und seine Verbindung mit dem mythischen Gründer von Korinth und der Isthmischen Spiele gegenüber der Konkurrenz hervorzuheben.

Fazit:

Foto Archiv Halbedl
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So zeigen beide Fallstudien beispielhaft für die Städte im römischen Griechenland, aber das gilt auch für andere Zeiten und geographische Räume, die Verbindung von Angehörigen der jeweiligen lokalen Elite mit zentralen Erinnerungsorten und deren Nutzung durch diese als Mittel im lokalen Konkurrenzkampf um Prestige, Ruhm und Ämter. Beide, Iuventianus für die römische Kolonie Korinth und Tiberius Claudius Novius für Athen, besetzten zentrale Erinnerungsorte zur "Übertrumpfung" ihrer Standes- genossen. Diese bewusste Instrumentalisierung, Beein-flussung und Manipulation der Erinnerung und Vergangen-heit war eng mit der gesellschaftlich-politischen Struktur der römischen Kaiserzeit verbunden. Die bislang noch nicht ausreichend in der Forschung berücksichtigte Vergangen-heitskonstruktion anhand sogenannter Erinnerungsorte, auch durch lokale (städtische) Eliten (Beteiligung/Rolle/Nutzung/Mittel) war Thema dieses Vortrages.

Wir danken Herrn Dr. Wolfgang Havener (Universität Heidelberg) für den beeindruckenden Vortrag, Herrn Prof. Dr. Christian Witschel (Universität Heidelberg) für die Einführung des Referenten und die Diskussionsleitung, Herrn Fabian Simon Zink für die Vorstellung des Vereins ArchaeNova e. V., Herrn Hannes Freitag für die technische Unterstützung der Veranstaltung, Herrn Klaus Messmer und Herrn Theo Famelis für die Kontrolle der Impfnachweise, Herrn Dr. Christoph Gerber für seine Unterstützung und Herrn Dr. Karl-Heinz Halbedl für die Begrüßung, Fotos und die Bereitstellung des Digitalen Raums, Frau Marion Süfling für die Buchung des Vortragsraumes, Herrn Martin Kühner und Herrn Stefan Halbedl für die Durchführung des Live-Streams und dem Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik der Universität Heidelberg für die Bereitstellung einer Kamera, dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Universität Heidelberg für seine Unterstützung und Herrn Prof. Dr. Kai Trampedach (Universität Heidelberg) für seine Hilfe und allen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben.

 

Quellen:

- IG:  Inscriptiones Graecae (1873 ff.)

- Pausanias:  Pausaniae Graeciae Descriptio, I – III (Rocha-Pereira, M. H. (Hrsg.), Leipzig 1973 – 1981)

- SEG:  Supplementum epigraphicum Graecum (1923 ff.)

 

 Literatur:

- Caroll 1982:  K. Caroll, The Parthenon Inscription (Durham 1982)

- Torelli 2010:  M. Torelli, P. Licinius Priscus Iuventianus e la ricostruzione antonina del Palaimonion di Istmia (Fornis, C. u. a.

   (Hrsg.), Dialécta histórica y compromiso social, Homenaje a Domingo Plácido, Zaragoza 2010), 555 - 582

Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Dr. Wolfgang Havener, Karl-Heinz Halbedl

Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl