Vortrag vom 10. Dezember 2020 von Prof. Dr. Mariya Ivanova-Bieg (Universität Wien): Burgen, Seehandel, Gold: Siedlungsarchäologische Forschungen zur Varna-Kultur an der westlichen Schwarzmeerküste.

 

 Der Vortrag fand in Kooperation mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg statt. Herr Dr. Carsten Casselmann (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg) stellte den Verein ArchaeNova e. V. und Herr Prof. Dr. Josef Maran (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg) die Referentin vor. Letzterer erstellte auch den digitalen Videokonferenzraum und moderierte die ganze Veranstaltung. Martin Kühner sorgte für einen Livestream des Vortrages.

 


Lage des Avren-Plateaus und von Varna (Warna) (Kartengrundlage Wikipedia (File:Bu-map-DE.png))
Lage des Avren-Plateaus und von Varna (Warna) (Kartengrundlage Wikipedia (File:Bu-map-DE.png))

Prof. Dr. Mariya Ivanova-Bieg präsentierte in ihrem Vortrag die Ergebnisse ihrer und der Forschungen von Petar Lesthakov auf dem seit 2014 in Kooperation zwischen dem Archäologischen Instituts der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Heidelberg untersuchten, in der Nähe des heutigen Varna gelegenen Avren-Plateau, insbesondere den kupferzeitlichen Fundplatz Avren-Bobata. Dabei bezog sie das für seine Goldfunde berühmte, der kupferzeitlichen Varna-Kultur (5. Jt. v. Chr.) ihren Namen gebende Gräberfeld von Varna ein. Das ca. 260 m über dem Meeresspiegel liegende Avren-Plateau liegt südlich bis südwestlich der nordostbulgarischen Küstenstadt Varna, genauer südlich der Seen von Varna und Veluslay. Im Westen wird das Plateau vom Flusstal von Prowadija, im Osten vom Schwarzen Meer und im  Süden vom Fluss Kamtschja begrenzt.

 

Allgemein sind die Fundplätze auf dem Avren-Plateau mit ihren Befunden und Funden potentiell wichtig für die Interpretation des 1972 im damaligen Industriegebiet Varnas am Nordufer der Lagune von Varna entdeckten Nekropole (ca. 300 Gräber) bzw. für die nach dem Gräberfeld von Varna benannte sogenannte Varna-Kultur (5. Jt. v. Chr.). Die zur Nekropole von Varna gehörige Siedlung wurde nämlich durch moderne Überbauung zerstört und es fanden auch bislang kaum Grabungen an kupferzeitlichen Siedlungsplätzen an der Nordküste Bulgariens statt. Ziel ist es u. a., das weitere Umfeld des Gräberfeldes von Varna zu untersuchen.

 

Steilabbruch des Plateaus von Avren beim Fundplatz Avren-Bobata
Steilabbruch des Plateaus von Avren beim Fundplatz Avren-Bobata

 

Varna:

Die Nutzung des Gräberfeldes von Varna wird aufgrund von C-14- Daten auf die Zeit von 4590 –4340 v. Chr. (250 Jahre) datiert. Beigabenreichtum, Beigabenwert und die Beigabenqualität der Gräber des Gräberfeldes von Varna variieren sehr stark.

 

8 Gräber der jüngsten Phase des Gräberfeldes von Varna bzw. der Varna-Kultur sind besonders reich ausgestattet (u. a. goldbeschlagenes Zepter, Golddiademe). Es wurden in Varna um die 3000 Goldartefakte mit einem Gesamtgewicht von 6 kg gefunden. Nur eines der reich ausgestatteten 8 Gräber mit Goldbeigaben enthält Skelettreste (Grab 43) . Bei den anderen 7 Gräbern handelt es sich um Kenothape oder Symbolgräber (teilweise mit einer Art von Statuen ("Wesen in Lehm")).

 

Funde aus dem Gräberfeld von Varna
Funde aus dem Gräberfeld von Varna

Des Weiteren kamen in der Nekropole über 160 Kupferschwergeräte (Beile (500 g bis 1 kg)), ca. 12.000 Perlen (Dentalium, Karneolperlen (über 5000) /Malachitperlen (ca. 2000) und reicher Muschelschmuck zutage (über 1000 Schmuckelemente aus Spondylus-Muscheln). Die Herkunft der Karneolperlen ist bislang ungeklärt. Es gibt aber Karneolvorkommen an der Südküste Bulgariens. Die Malachitperlen könnten wohl aus dem an der südlichen Schwarzmeerküste Bulgariens gelegen Strandscha-Gebirge stammen. Die Muscheln kommen wohl teilweise aus dem Marmarameer und der Ägäis. Das bislang untersuchte Kupfer (Kupferschwergeräte) aus dem Gräberfeld von Varna stammt nach naturwissenschaftlichen Untersuchungen zu einem Drittel aus Thrakien (Südbulgarien) und zu zwei Dritteln aus dem Strandscha-Gebirge.

Als potentielles Herkunftsgebiet des Flussgoldes, der in Varna gefundenen Vulkangesteine und des dort gefundenen Marmors  könnte u. a. wieder der Bereich des Strandscha-Gebirges in Frage kommen.

Der Handel von Rohstoffen und Objekten zu dem ressourcenarmen "Varna-Bereich" könnte über den Seeweg erfolgt sein, was die Reichtumskonzentration in "wenigen Händen" bzw. in relativ wenigen Gräbern erklären könnte. Möglicherweise spiegeln die "superreichen Gräber" der Varna-Kultur erstmals in der Geschichte eine starke soziale Differenzierung (Oberschicht) und Zentralisierung der Gesellschaft wider. Nach C. Renfrew könnten die reichen Grabbefunde von Varna auf ein "Häuptlingstum" schließen lassen. Es wäre aber auch möglich, dass die sehr reich ausgestatteten Gräber auf einen Wettbewerb mehrerer Familien oder Geschlechter um die "Kontrolle von Handelsnetzen und Allianzen" deuten. Zudem gilt das Gräberfeld von Varna aufgrund seiner Fundmenge als Zentrum des Kupferschwergeräte- und Goldschmuckaustausches in Südosteuropa im 5. Jt., obwohl es am äußersten Rand dieses Phänomens liegt. Dieses Austauschphänomen in Südosteuropa steht strukturell im Zusammenhang mit dem in Westeuropa zeitgleichen Austauschsystemen der alpinen Jadeitbeile, von denen in Varna auch Stücke gefunden wurden

Avren-Plateau:

Die Forschungen (Surveys/Ausgrabungen) auf dem Avren-Plateau brachten u.a. vier neu entdeckte, am Rande des Plateaus im Abstand von 4 bis 10 km voneinander entfernt liegende kupferzeitliche Siedlungsstellen zutage.

Es handelt sich um die jeweils auf einem Sporn des Avren-Plateaus liegenden Siedlungen:

 

1.  Avren-Koriata (kleiner Siedlungshügel mit 4 – 6 m breiten Graben zum Plateau hin und Gruben (ca. 3 ha großer Außenbereich)

2.  Sadowo (kleiner Siedlungshügel)

3.  Avren-Bobata (Höhensiedlung: kleine befestigte Siedlung (0,25 ha) mit 3 ha großen äußeren Siedlungsbereich (Gruben, Silexbeil, kleine Steinaxt, Silexklingen, 2 Kupferahlen, 1 Kupferpfriem, 1 Stück Kupferschlacke, Keramik Gußtropfen etc. (Kupferverarbeitung?))

4.  Petritschkale (Höhensiedlung).

 

Kupferzeitliche Höhensiedlung Avren-Bobata
Kupferzeitliche Höhensiedlung Avren-Bobata

Avren-Bobata:

Ausgrabungen in Avren-Bobata südlich der Befestigungsmauer.
Ausgrabungen in Avren-Bobata südlich der Befestigungsmauer.

 Der vor Beginn der Grabungen im Jahre 2014 durch Raubgrabungen heimgesuchte Siedlungsplatz Avren-Bobata (Höhensiedlung) liegt auf einem Felssporn, dessen Seiten bis auf die zugängliche Nordseite, 20 m steil abbrechen. Er besteht aus einer kleinen befestigten durch eine 65 m lange und 2 m breite Außenmauer zum Plateau hin gegen die Außensiedlung abgeschlossen Siedlung (0,25 ha) und einer vor allem durch Gruben belegten Außensiedlung (3 ha). Der Platz wurde im Frühchalkolithikum (4800- 4700 v. Chr. (Lehmhausgebäude, Reibesteine, Vorratsgefäße, Keramik)), möglicherweise auch im Mittelchalkolithikum (einzelne mittelchalkolitische Scherben) und im Spätchalkolithikum (4600 – 4500/4450 v Chr./zwei Bauphasen) besiedelt und ist somit im Spätchalkolithikum zeitgleich mit dem Gräberfeld von Varna, endet aber früher als das Gräberfeld.

 

 Für die Frühphase des Spätchalkolithikums konnten einige Bauten und Fundkonzentrationen nachgewiesen werden (Fundkonzentration eines Keramikers (u. a. 2 Schüsseln, Deckel und Vorratsgefäß mit runden Kieselsteinen, ein Eberzahn, zwei aufeinanderliegenden Schalen mit Silex und weißer mineralischer Substanz darin, wohl zur Dekoration der weißinkrustierten Keramik der Varna-Kultur, von Textilien, Architektur etc.)).

 

In einem Vorratsgefäß der Frühphase des Spätchalkolithikums in Avren-Bobata gefundene aufeinanderliegende Schalen mit Silex und weißer mineralischer Substanz.
In einem Vorratsgefäß der Frühphase des Spätchalkolithikums in Avren-Bobata gefundene aufeinanderliegende Schalen mit Silex und weißer mineralischer Substanz.

"Besterhaltenster" kupferzeitlicher Gebäudebefund (Gebäude/Spätphase des Spätchalkolithikums) der Grabungen in Avren-Bobata
"Besterhaltenster" kupferzeitlicher Gebäudebefund (Gebäude/Spätphase des Spätchalkolithikums) der Grabungen in Avren-Bobata

 

In die Spätphase des Spätchalkolithikums in Avren-Bobata gehört beispielsweise ein 2015/16 freigelegtes, unmittelbar südöstlich der Befestigungsmauer gelegenes, in stampflehmbauweise errichtetes, 8 auf 10 m großes, verbranntes Haus (besterhaltenstes Haus in Avren-Bobata/vgl. Foto) mit 2 Räumen, welches u. a. zwei  Öfen, Mahlvorrichtungen, Mahlsteine,  und Vorratsgefäße, aber keine Alltagsgegenstände aufwies.

 

Fund aus der "Aussensiedlung" von Avren-Bobata
Fund aus der "Aussensiedlung" von Avren-Bobata

 

Des Weiteren ist in Avren-Bobata typisches chalkolitisches Material zutage getreten (Keramik mit tiefschwarzer Oberfläche, Keramik mit Graphitbemalung, Kochgefäße, Vorratsgefäße, konisch zylindrische Schüsseln, Ständer, Schöpfer, Glättsteine und kleine Ambosse wohl zur Keramikherstellung oder Kupferverarbeitung, wenige Steinäxte, Knochenhämmer, Knochenhacken, Knochenahlen, kleine Kupferfunde, Silex aus Nordostbulgarien und minderwertiger lokaler Silex (Werkzeuge) etc.).

 

 

Zu den besonderen Funden zählen zwei Spondylusmuschelfragmente, Frauenfigurinenbruchstücke, Tierfigurinen, Miniaturlöffel, eine erhaltene Handrassel, eine in ihrer Funktion unbekannte Scheibe von einem Menschenschädel (Parallele aus Gold in Varna Grab 36) und 26 in einem Gefäß gefundene Astragaloi.

 

 

Die teilweise in den "Häusern" innerhalb der Befestigung von Avren-Bobata gemachten Funde legen die Nutzung als Wohngebäude nahe. Sie weisen auch auf handwerkliche Tätigkeit wie Kupferverarbeitung und Tonbearbeitung und auf Handelskontakte hin (u. a. dort gefundene Muscheln aus dem Marmarameer).

 

Funde aus der "Aussensiedlung" (Avren-Bobata)
Funde aus der "Aussensiedlung" (Avren-Bobata)

Fund aus der "Aussensiedlung" von Avren-Bobata
Fund aus der "Aussensiedlung" von Avren-Bobata

Avren-Bobata war ein schon im Frühchalkolitikum genutzter Siedlungsplatz, welcher durch eine massive Steinmauer geschützt war. Die Wohnhäuser waren mit Öfen und Getreidesilos ausgestattet und waren wohl ganzjährig bewohnt. Hinweise auf Reichtum und Akkumulation von Besitz fehlen bislang. Es ist eine Siedlung mit befestigtem unzugänglichem Kern (winzige Burg), welche durch ihre Lage auf einem markanten Geländesporn und ihre Befestigung zeigt, dass für ihre Bewohner Kontrolle über ihre Umgebung vor allem durch Sehen und Gesehen-Werden eine wichtige Rolle spielte.Wichtige Handelsrouten nach Thrakien (Kupferlagerstätten) sind von Avren-Bobata aus sichtbar.Die am Rande des Plateaus von Avren liegenden kupferzeitlichen Siedlungen waren möglicherweise so angeordnet, um das Plateau verteidigen besser verteidigen zu können.

 

 

Wir danken Herrn Prof. Dr. Josef Maran für die Zurverfügungstellung des digitalen Vortragraumes, die Moderation des Vortrages und die Vorstellung der Referentin, Herrn Dr. Carsten Casselmann für die Vorstellung des Vereins ArchaeNova e. V., Frau Prof. Dr. Mariya Ivanova-Bieg für ihren interessanten Vortrag, Martin Kühner für die Durchführung des Livestreams und allen anderen die zum Gelingen des Vortrages mitgeholfen haben.

 

Geomagnetische Prospektion im Jahre 2016 in Avren-Bobata.
Geomagnetische Prospektion im Jahre 2016 in Avren-Bobata.

Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Mariya Ivanova-Bieg, Oliver Memmel. Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl