Vortrag vom 25. Februar 2021 von Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos (Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie (Heidelberg)):

Klassische Archäologie als Kulturerbedisziplin

 

Am 25.02.2021 18.15 Uhr hielt Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos (Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie Heidelberg) einen Online-Vortrag mit dem Titel "Klassische Archäologie als Kulturerbedisziplin". Der vom Verein Forum Antike e. V. organisierte Vortrag fand in Kooperation mit dem Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie (Heidelberg), dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie (Heidelberg) und dem Verein ArchaeNova e. V. statt.

Den digitalen Raum stellte Herr Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos zur Verfügung. Er leitete auch die Veranstaltung inklusive der Diskussion. Frau Ulrike Marcks (erster Vorstand von Forum Antike) hielt das Schlusswort, stellte den Verein Forum Antike und den Referenten und Dr. Karl-Heinz Halbedl (Verein ArchaeNova) stellte den Verein ArchaeNova e. V. vor. Den Livestream ermöglichte Martin Kühner.

Vortrag:

Herr Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos ging in seinem Vortrag, welcher ein sehr aktuelles in der Gesellschaft diskutiertes und auch im Rahmen der Heidelberger Universität behandeltes Thema aufgreift, darauf ein, was man unter dem Begriff Kulturerbe versteht. Es bezeichnet die "Gesamtheit der materiellen und immateriellen" (Märchen, Sagen, Musik etc.) Kulturgüter. Das sogenannte Kulturerbe ist von enormer "historischer, gesellschaftlicher, künstlerischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Bedeutung". Es wird genutzt, um nationale und kollektive Identitäten auszubilden und wird deshalb bewahrt und öffentlich zugänglich gemacht. Kulturerbe wird, was Gruppen oder Gesellschaften aus heutiger Sicht als gesellschaftlich, politisch oder national für wertvoll halten und durchsetzen. In Europa beginnt das Interesse am Weltkulturerbe mit der französischen Revolution 1789, wird verstärkt durch die Zerstörungen in den beiden Weltkriegen und mündet u. a. in der Haagener Konvention (Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten) 1954 und UNESCO-Konvention 1972. Aufgrund der Bedeutung und Aktualität des Kulturerbethemas mit all seinen Problemen für die lokale Bevölkerung, den Staat und für Gruppen eröffnet sich für die Archäologie die Möglichkeit, sich nicht nur mit der Vergangenheit, sondern auch mit der Gegenwart zu beschäftigen (Bezug zur Gegenwart auch als Legitimation des Faches). Man verschiebt so den Schwerpunkt des Interesses des Faches Archäologie vom Begriff der Antike mehr zum Begriff "kulturelles Erbe". Um die Frage zu beantworten, wie die klassische Archäologie zu einer wirklichen "Wissenschaft des kulturellen Erbes" werden kann, ist von dem mit Problemen verbundenen "Istzustand" auszugehen.

 

Istzustand:

Die Archäologie ist im Grunde genommen auch eine zerstörerische Wissenschaft, welche zwar in der Regel die Artefakte bewahrt, aber die Fundzusammenhänge zerstört (Beispiel Ischtar-Tor von Babylon (Berlin Vorderasiatisches Museum)). Sie muss manchmal bei archäologischen Stätten mit unterschiedlichen Denkmälern aus verschiedenen Zeiten entscheiden, welches Denkmal oder welche Denkmäler man - teilweise auch aus nationalen Gründen – beseitigt, um Denkmäler einer anderen Zeit besser zur Geltung zu bringen (Beispiel Akropolis Athen: Abriss der Moschee im Parthenon und des fränkischen Turms 1874). Archäologie kann auch zerstörend wirken, wenn ausgegrabene Fundstätten vernachlässigt werden und so über die Jahre dem Verfall preisgegeben sind (Beispiel: Siedlung Phylakopie auf Melos).

 

Des Weiteren stellt sich das Problem, wie man in Städten das kulturelle Erbe bewahren kann, in denen der Raum knapp ist. Eine Lösung ist, dass man die antiken Überreste in die modernen Häuser so integriert, dass sie sichtbar und erhalten bleiben (Beispiel Athen: Reste der athenischen Stadtmauer in Eingangsbereich eines Hochhauses integriert). Eine andere Möglichkeit ist, antike Ruinen zu verlegen, aber damit zerstört man den archäologischen Befund (Beispiel: Geplante umstrittene Verlegung einer byzantinische Straße in Thessaloniki wegen des Baus einer Metrostation). Oft ist auch das Geld nicht vorhanden, das "verlegte Objekt" wie geplant an anderer Stelle wieder aufzubauen. Teilweise sind auch im Untergeschoss von modernen Häusern bewahrte antike Reste vernachlässigt (Beispiel Piräus: Total vernachlässigte antike Schiffshäuser im Untergeschoss von modernen Hochhäusern). Es fehlen zuweilen auch kreative Ideen um archäologische Stätten zu erschließen (Beispiel Amphipolis) und Exponate in den Museen zu präsentieren (Beispiel Delos-Museum). Oft kann man als Laie die einstige praktische Funktion der in der Regel aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgerissenen Exponate des Museums auch nicht erkennen.

 

 

Wie kann man die Klassische Archäologie zu einer echten Wissenschaft des Kulturerbes machen?

 

Die klassische Archäologie kann man laut Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos zu einer echten Wissenschaft des Kulturerbes transformieren, indem man sie u. a. zu einer öffentlichen Archäologie macht d. h., dass die Archäologie sich auch mit den "großen Fragen" und Themen, die die "Welt" bewegen, beschäftigt (Politik, Umwelt, Urbanisierung, Naturkatastrophen etc.) und dazu Stellung nimmt (Debatten).

 

Ferner muss sie transparenter werden, indem man die Methoden zeigt, wie man aus Funden Exponate macht (archäologischer Erkenntnisprozess). 2012 bis 2019 konnten die Besucher des Genter Museums für Schöne Künste durch eine Fensterfassade die Restaurierung des Genter Altars (Gemälde der Brüder van Eyck/15. Jh.) beobachten. So könnte man auch die wissenschaftlichen Methoden der Archäologen auf einer Ausgrabungsstätte oder im Museum zeigen und die Methoden so zu einem Exponat machen.

 

Des Weiteren müsste die Archäologie mit Wissenschaftlern anderer Disziplinen, mit Künstlern und Spezialisten (u. a. Kunsthandwerker) zusammenarbeiten, so auch durch Erfahrungsaustausch z. B. mit heutigen Töpfern oder Edelsteingraveuren Antike und Gegenwart zu verbinden (inkludierende Archäologie) und sich so stärker in der modernen Gesellschaft zu verankern.

 

 

Besonders wichtig für eine echte Kulturerbedisziplin ist aber, dass sie kreativ und erschließend ist. Dies kann sie durch Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen erreichen. Durch Zusammenarbeit mit Architekten konnte beispielsweise in Athen das beim Bau der Griechischen Nationalbank entdeckte Archanische Tor und die entdeckten Teile der athenischen Stadtmauer gerettet werden, indem man sie bei der Planung des Baus berücksichtigte und für sie Platz im Erd- und Untergeschoss ließ. Die beim Metrobau in Thessaloniki entdeckte byzantinische Straße müsste man nicht verlegen, wie es das griechische Kulturministerium beschlossen hat, sondern man könnte - wie es griechische Architekten und Archäologen zusammen ausgearbeitet haben - die geplante Metrostation unter die byzantinische Straße legen (Vorbild Metrostation San Giovanni in Rom (dort verschiedene Schichten der Geschichte zu sehen)).

 Weitere gelungene Beispiele einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Archäologen und Architekten finden sich in Carthagena (Spanien/2011 futuristische Überdachung der römischen Ruinen als symbolische Verbindung zwischen Antike und Moderne) und in Rom (Neukonzeption des historischen Zentrums durch Architekt David Chipperfield (römische Straße als wunderschöne Landschaft)). Ein kreatives Beispiel für die Erschließung einer archäologischen Stätte außerhalb von Metropolen bieten Messene (antike Stadt) und Skarkos auf der Insel Ios (kykladische Siedlung 3. Jt. v. Chr.). Beispiele für die kreative Erschließung einer Landschaft durch Archäologie sind Agrigent das Tal der Tempel, wo man durch Restaurierung der Tempel und antiken Ruinen und Pflanzung von Olivenhainen eine Art antike Landschaft geschaffen hat und der archäologische Park von Selinunt (Kombination von Kultur und Natur) auf Sizilien.

 


Visualisierte ursprüngliche Gestalt der frühchristlichen Basilika von Siponto (Apulien) mit Hilfe eines Stahlgeflechts durch den italienischen Architekten Edoardo Tresoldi (Foto Archiv Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos)
Visualisierte ursprüngliche Gestalt der frühchristlichen Basilika von Siponto (Apulien) mit Hilfe eines Stahlgeflechts durch den italienischen Architekten Edoardo Tresoldi (Foto Archiv Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos)

Kreativ ist auch ein Entwurf für das neue Delos-Museum, das außen rundherum Fenster aufweist und so die ausgestellten Statuen für den Besucher in die Landschaft (Hintergrund) einbettet. Neben anderen Beispielen für eine kreative und erschließende Archäologie bei der zweitrangige archäologische Stätten hervorgehoben werden, ist die mit Hilfe eines Stahlgeflechts visualisierte ursprüngliche Gestalt der frühchristlichen Basilika von Siponto (Apulien) durch den italienische Architekten Edoardo Tresoldi (Beispiel für Visualisierungsmöglchkeit von historischen Bauten).

 

Archäologie als organisches Ganzes:

 

Man versteht darunter den Versuch, die Ausgrabung und das Museum zu verbinden, indem man die archäologische Stätte auch zum Museum (Beispiel Gräberfeld bei Phaliron bei Athen (7. Jh. v. Chr./Anhänger des Kylon?)) und das Museum auch zur archäologischen Stätte macht (Beispiel: Vitrinen mit Befund eines frühmittelalterlichen Massengrabes (Landesmuseum für Vorgeschichte Halle)).

 

Somit wird - zusammengefasst gesagt - Archäologie zur echten Wissenschaft des Kulturerbes, indem sie organisch verbunden (Verknüpfung von Archäologie und Museum), öffentlich, transparent, inkludierend, kreativ und erschließend ist. Inhalte, Methoden und Ziele der klassischen Archäologie sollen aber dadurch nicht verändert, sondern nur erweitert werden.

 

Das Heidelberger Institut und das Kulturerbe:

 

Marstall (Heidelberg): Sitz des Instituts für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie
Marstall (Heidelberg): Sitz des Instituts für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie

Das Heidelberger Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie hat wohl schon unter dem ehemaligen Direktor des Instituts für Klassische Archäologie Heidelberg Prof. Dr. Roland Hampe (1908 – 1981) vor allem in den 60iger Jahren des 20. Jahrhundert die Bedeutung der klassischen Archäologie als Kultrerbedisziplin erkannt. Prof. Dr. Roland Hampe besuchte nämlich im Rahmen seiner Forschungen zur antiken Keramik auch traditionelle Töpfer in Griechenland, Sizilien, auf Kreta und Zypern und stellte so wohl als erster in der deutschsprachigen Archäologie Bezüge zwischen Gegenwart und Antike her. Des Weiteren wurde ein solcher Gegenwartbezug der Archäologie in Heidelberg durch eine Aufschrift mit politischer Aussage wohl im Rahmen von Protesten gegen die Diktatur in Griechenland auf Abgüssen der Heuscheuer in Heidelberg zur Archäologie hergestellt. Der Nachfolger von Prof. Dr. Roland Hampe, Prof. Dr. Tonio Hölscher hat Studentenproteste mit ihren gesellschaftlichen Forderungen in den 70iger Jahren von der Straße in den Hörsaal gebracht und somit als Archäologe der diese gesellschaftlichen Proteste zu einem wissenschaftlichen Programm zu machen versuchte, aktiv an gesellschaftlichen Debatten teilgenommen. Archäologie kann dadurch zur gegenwartsbezogenen Disziplin werden.

 

Auch war Heidelberg Vorreiter in der Frage, ob Kulturerbeobjekte in ihr Ursprungsland zurückgegen werden sollten, indem es ein Fragment des Parthenonfrieses Griechenland übereignete.

 

Momentan herrscht eine große Debatte darüber, ob Objekte des Humboldt-Forums in Berlin aus der Kolonialzeit, insbesondere die Beninbronzen, in ihr Ursprungsland zurückgegeben werden sollten. Herr Professor Dr. Diamantis Panagiotopoulos befürwortet eine Rückgabe und meint, es wäre vorstellbar, dass das Humboldt-Forum durch diese Großzügigkeit wieder an außergewöhnliche Exponate für eine Ausstellung kommen könnte und so nach Vereinbarungen das Humboldt-Forum zum offenen Museum für "temporäre imponierende Ausstellungen" werden könnte.

 

Foto Archiv Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos
Foto Archiv Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos

Das Grabungsprojekt Koumasa auf Kreta (minoische Zeit) des Heidelberger Instituts für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie (Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos) soll Teil eines "Museums ohne Wände" werden, das die Landschaft, Artefakte, die Grabungsstelle und authentische kulturelle Praktiken (Weinanbau, Keramikherstellung) umfasst.

 

Grabungsstelle und modernes Dorf zeigen dort Gegenwart und Vergangenheit. Exkursionen dahin sind geplant (Forum Antike e. V.). Die Entwicklung der Archäologie als Kulturerbedisziplin wird spannend sein.

 

 

 

Wir danken Herrn Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos (Institut für Klassische Archäologie und Byzantinische Archäologie (Heidelberg)) für den interessanten Vortrag, Frau Ulrike Marcks (Forum Antike) für das Schlusswort, für die Vorstellung des Referenten und des Vereins Forum Antike, Herrn Dr. Karl-Heinz Halbedl (Verein ArchaeNova) für die Vorstellung des Vereins ArchaeNova, Martin Kühner für die Durchführung des Livestreams und allen anderen, die geholfen haben.

 

Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Archiv Prof. Dr. Diamantis Panagiotopoulos, Oliver Memmel, Ulrike Marcks, Karl-Heinz Halbedl, Archiv Arch.N.. Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl