Vortrag vom 23. Februar 2021 von Dr. Lee Clare (DAI Istanbul): Die Entzauberung eines modernen Mythos? Zum aktuellen Forschungsstand an der Weltkulturerbestätte von Göbekli Tepe 

Im Rahmen des Forschungskolloquiums des Instituts für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Universität Heidelberg fand in Kooperation mit dem Verein ArchaeNova e. V. am 23.02.2021 14.15 Uhr ein weiterer Online-Vortrag statt. Herr Dr. Lee Clare (DAI Istanbul) hielt einen Vortrag mit dem Titel: "Die Entzauberung eines modernen Mythos? Zum aktuellen Forschungsstand an der Weltkulturerbestätte von Göbekli Tepe".

Prof. Dr. Joseph Maran (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Universität Heidelberg) stellte den virtuellen Veranstaltungsraum zur Verfügung, stellte den Verein ArchaeNova e. V. und den Referenten vor und leitete die Diskussion. Martin Kühner ermöglichte den Livestream.

Prof. Dr. Klaus Schmidt (1953 - 2014)
Prof. Dr. Klaus Schmidt (1953 - 2014)

Es war für uns etwas Besonderes, Neues über die UNESCO Weltkulturerbestätte von Göbekli Tepe (2018) zu hören. Unser Vereinsgründer Prof. Dr. Klaus Schmidt, welcher die Bedeutung des Fundortes Göbekli Tepe 1994 als erster erkannt hatte, leitete bis zu seinem Tode 2014 die Grabungen mit den sensationellen Befunden (Monumentalarchitektur u. a.).

 

Er machte den ca. 15 km nordöstlich von Sanliurfa gelegenen Göbekli Tepe durch seine aufopferungsvolle Arbeit, seine Forschungen und Interpretationen weltberühmt.

 

Etliche Mitglieder von ArchaeNova haben dort unter Klaus Schmidt mitgearbeitet, etliche haben den Göbekli Tepe, mit 750 m die höchste Erhebung der Bergkette von Germus, schon besucht und kennen den Göbekli Tepe mit seinem Ausblick auf die Harran-Ebene im Süden und nach Norden bis zum Taurus gut.

 

 

Zeitlich befinden wir uns im präkeramischen Neolithikum, dem Abschnitt des Neolithikums, in welchem es noch keine Keramik gab. Das präkeramische Neolithikum wird unterteilt in PPN A (ca. 9700 – 8700 v. Chr.) und PPN B (ca. 8700 – 7000 v. Chr.).

Vortrag:

 

Dr. Lee Clare lieferte zuerst nach einigen Bemerkungen Grundlagenwissen in Bezug auf den Göbekli Tepe, an dem seit Anfang 2020 wegen der Pandemie nicht mehr gegraben wird. Die steinzeitlichen Funde und Befunde dort datieren von ca. 9500 – 8000 v. Chr. (PPN A – mittleres PPN B). Aufgrund der Tatsache, dass bislang keine domestizierten Tiere und Pflanzen nachgewiesen werden konnten, handelte es sich bei den Menschen am Göbekli Tepe wohl um Jäger und Sammler. Es ist jedoch zu bedenken, dass die Umwandlung von Wildgetreide zu domestiziertem Getreide 1000 bis 2000 Jahre dauern kann und Getreideanbau nur durch domestizierte Getreide leicht nachweisbar ist. Die im Zusammenhang mit dem Göbekli Tepe verwendeten Begriffe "erste Tempel", "zero point in time" und "ground zero" lehnt Dr. Lee Clare ab, weil sie die Deutung des Befundes festlegen. Der schon seit 1963 im Rahmen des Surveyprojektes der Universität Istanbul und des Orientalistischen Instituts der Universität Chicago (Prof. Dr. R. Braidwood u. a.) entdeckte Fundort Göbekli wird seit 1995 erforscht (Sanliurfamuseums/DAI Istanbuls (Prof. Dr. H. Hauptmann/Prof. Dr. K. Schmidt)).

 

Schutzdach auf dem Göbekli Tepe (Foto Archiv Dr. Lee Clare)
Schutzdach auf dem Göbekli Tepe (Foto Archiv Dr. Lee Clare)

 

Wichtig ist auch, dass 2017 in ca. 1 km Entfernung vom Göbekli Tepe (Haupteingang) ein Ausstellungs- und Besucherzentrum (Info-Center) errichtet wurde, nachdem dieser auf einer Basaltinsel im Kalk liegende Platz durch einen Survey untersucht wurde. Viele auf dem Göbekli Tepe gefundene Basaltreibesteine stammen von hier. 2017 und 2018 wurden zum Schutz der neolithischen Monumentalbauten (Sonderbauten) zwei permanente Schutzdächer gebaut, weswegen der Göbekli Tepe für Besucher geschlossen war. Dabei wurden die Flächen, auf denen die Stützkonstruktion der Schutzdächer stehen sollte, durch Tiefensondagen bis zum Fels untersucht und weitere kleine Ausgrabungen durchgeführt. 2018 war auch das Jahr (01.07.2018), an dem nach einem längeren Prozess von Anstrengungen seit 2011 (Prof. Dr. Klaus Schmidt) und besonders ab 2013/2014 der Göbekli Tepe mit Umfeld (587 ha) in die Liste des UNESCO-Welterbes (Manama (Bahrain)) aufgenommen wurde. Im März 2019 wurde der Göbekli Tepe durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan offiziell wieder für Besucher eröffnet (Februar bis Oktober 2019 336.784 Besucher).

 

Traditionelles Bild:

Bis 2015 ergab sich folgendes Bild: Insgesamt wurden 8 monumentale Gebäude (Sondergebäude (Lee Clare)), sogenannte Tempel, entdeckt und teilweise ausgegraben. Möglicherweise sind noch über 20 solcher monumentalen Gebäude bzw. Sondergebäude im Boden verborgen (Bodenradar), doch könnten sich zumindest zum Teil hinter den durch Bodenradar entdeckten Befunden auch Felsformationen im Kalkstein verbergen. Bei den Monumentalbauten handelt es sich um rundovale Bauten mit Steinbänken und bis zu 12 in die Mauern inkooperierte T-Pfeiler und 2 mittige bis 5,50 m hohe, freistehende T-Pfeiler. Die T-Pfeiler sind zumindest zum Teil als menschliche Darstellungen interpretierbar und aus dem Kalkplateau des Göbekli Tepe gewonnenen worden. Teilweise sind sie anthropomorph, mit Tierdarstellungen oder anderen Motiven verziert. Diese als Tempel interpretierten Monumentalbauten (Sonderbauten) wurden bei ihrer Aufgabe als rituell bestattet bzw. verfüllt interpretiert. Für die Interpretation des Göbekli Tepe als Ritualstätte wurden auch archäologische Hinweise auf ein großes Fest (Festessen), vor allem aber der Nachweis auf Fermentation (Bierherstellung) herangezogen. Spuren von PPN A- und PPN B-zeitlichen Wohnbauten fehlten zudem. Dazu passte, dass die Versorgung einer potentiellen präkeramischen Siedlung mit Wasser ungeklärt war. Der Nachweis von damaligen präkeramischen Wasserquellen, Flüssen etc. auf dem Göbekli Tepe fehlt bislang und die Zeitstellung der auf dem Göbekli Tepe gefundenen Zisternen ist unsicher. Drei Schichten konnten auf dem Göbekli geschieden werden: Schicht 1: Flughorizont, Schicht 2: PPN B, Schicht 3: PPN A.

 

Foto Archiv Dr. Lee Clare
Foto Archiv Dr. Lee Clare

 

Zum aktuellen Forschungsstand:

 

Siedlung:

 

Bei den Tiefensondagen (DR 2) K 10-13/23) für das zweite permanente Schutzdach nach 2015 wurden mehrphasige Wohnhausbefunde (Rundbauten/wohl PPN A (steinerne Pfeilspitzen)) und eine Aktivitätszone mit Resten einer Perlenherstellung und Knochenwerkzeugen (wohl PPN A (steinerne Pfeilspitzen)) gefunden und somit auf dem Göbekli Tepe eine Siedlung nachgewiesen. Beim zweiten Schnitt am zweiten Schutzdach für die vorgesehene Regenabwasserleitung wurden am Felsen unten PPN A-zeitliche mehrphasige Strukturen (Gebäude), 2 Feuerstellen und Aktivitätszonen (kleine gepflasterte Installationen und Abfallhaufen) angeschnitten. Zum PPN B (Raum 16) gehörten Rechteckbauten, der sogenannte Taschentempel mit tausenden Abschlägen, Speerspitzen und Klingen (teilweise ehemaliges Siedlungsmaterial). Im Raum 16 (Gebiet L09-80) ist auch der Übergang von den PPN A-zeitlichen Rundbauten zu Rechteckbauten, welche wohl im PPN B aufkommen, festzustellen. Es wurde aus einem Rundbau ein Rechteckbau gemacht. Raum 16 ist als eine Art Kellerraum zu interpretieren, über dem sich wohl eine Wohnetage erhob. Nach Lee Clare sollte es so ähnlich ausgesehen haben, wie in Catal Hüyük, wo sich das Leben auf den Dächern abgespielt hat. Zumindest ist im PPN B mit einer ziemlich dichten Besiedlung (nebeneinander liegende Häuser) mit Ausgängen zum Dach zu rechnen. Des Weiteren wurden in dem Entwässerungstunnel 1 unter dem Boden eines rechteckigen Hauses 3 Schädel (2 davon sicher weiblich/Bestattung) gefunden. Somit wurde auf dem Göbekli Tepe während des PPN A und PPN B gesiedelt.

 

Foto Archiv Dr. Lee Clare
Foto Archiv Dr. Lee Clare

 

Wasser:

 

Ihr Wasser könnte die Bevölkerung damals - zumindest zum Teil - aus den im Westen des Göbekli Tepe liegenden Zisternen, welche aufgrund dort gemachter neolithischer Menschenknochenfunde aus dieser Zeit stammen könnten, bekommen haben. Eine im Schnitt K 10-35 entdeckte, ursprünglich mit Kalksteinplatten abgedeckte Rinne diente der Wasserumleitung. Eine als Zisterne interpretierte, mit Kalksteinplatten und T-Pfeilerfragmenten gefüllte Grube (K 10-55) von 8 m Durchmesser und 3 m Tiefe könnte auch der damaligen Wasserversorgung der Bevölkerung gedient haben. Die Grube ist nach oben mit 3 Steinlagen eines falschen Gewölbes (Kraggewölbe) teilweise abgeschlossen. Inwieweit das falsche Gewölbe einst vollständig die Grube abschloss oder tatsächlich nur drei Lagen vorgesehen waren, ist unbekannt. Dieser Befund, wie auch Buchten an den T-Pfeilern könnte darauf schließen lassen, dass die Monumentalbauten (Sonderbauten) einst zumindest zeitweise überdacht waren.

 

Monumentalgebäude (Sondergebäude):

Aus den Mauern der Monumentalbauten seit 2015 (Sondergebäude D und B) gewonnene C-14 Daten (J. A. Becker) ergaben eine längere Laufzeit von Monumentalbauten (Sonderbauten) als bislang angenommen und sie waren mehrphasig. Nach diesen existierte das bisher in Schicht 3, also PPN A datierte Sondergebäude D im späten PPN A und PPN B. In der ersten Phase, im späten PPN A, war die Anlage größer. In PPN B wurde der Monumentalbau wieder errichtet oder umgebaut und beschränkte sich nur noch auf den Westteil von Sondergebäude D.

 

Sondergebäude D (2 zentrale T-Pfeiler umrandet von 9 T-Pfeilern), in dem bislang keine C-14 Datierungen vorgenommen wurden, weist auch 2 Phasen auf. Das ältere, nicht ganz erhaltene Gebäude ist größer. Innerhalb des älteren Gebäudes ist eine jüngere Phase festzustellen. Der früher als Terrazzoboden interpretierte Boden hat sich als Terrazzobodennachahmung herausgestellt (wohl Kalkpflasterboden mit hohem Kalksteinkiesanteil).

Somit sind zumindest die Monumentalbauten bzw. Sonderbauten D und B mehrphasig. Lee Clare könnte sich eine Laufzeit von 300 – 500 Jahren vorstellen. Statt einer Schicht 3 gibt es 2 verschiedene Phasen. Schicht 3 würde demnach von PPN A bis PPN B gedauert haben. Die bisherige Schichtenfolge bzw. relative Chronologie: "Schicht 1 Flughorizont, Schicht 2 PPN B, Schicht 3 PPN A" ist somit überholt und muss zumindest modifiziert werden. Es gibt jetzt mehrere Phasen, aber das alles soll noch verfeinert und genauer untersucht werden.


Schutzdach (Foto Archiv Dr. Lee Clare)
Schutzdach (Foto Archiv Dr. Lee Clare)

 

Verfüllung:

 

Nach den Forschungen, Befunden und Interpretationen nach 2015 wird angenommen, dass die Monumentalbauten - zumindest was das Hauptgrabungsgebiet betrifft - nicht rituell bestattet sondern durch Hangerosion oder mehrere Hangerosionen verfüllt wurden. Die Verfüllung ist nicht nur, wie früher angenommen, PPN A-zeitlich (Schicht 3), sondern besteht aus vermischten PPN A/PPN B Einlagerungen. Die Stratigraphie der Verfüllung (GTZ, L9 – 78, E-Profile) zeigt mehrere Schichten. Die Befunde beim Monumentalbau D (Sonderbau D) Westseite PPN B-zeitlich und Ostseite PPN A-zeitlich könnten auf zwei zeitlich unterschiedliche Hangrutsche schließen lassen.

 

 

Feasting:

 

Für auf dem Göbekli veranstaltetes Festessen gibt es laut Lee Clare keine Belege. Es ist aber anzunehmen, dass solche stattgefunden haben. Die in der Verfüllung der Monumentalbauten (Sonderbauten) gefundenen Tierknochen stammen wohl aus verlagerten Müllgruben. Fermentation und damit Bierherstellung ist auf dem Göbekli bislang sehr selten nachgewiesen.

 


 

Fazit:

Danach wäre Göbekli Tepe kein reiner Kultplatz mehr mit ritual bestatteten Monumentalbauten, sondern ein Siedlungsplatz mit Wohnbauten, möglicherweise schon im PPN A und sicher im PPN B und mit lange Zeit existierenden, möglicherweise rituell genutzten Monumentalbauten (Sonderbauten), welche durch Hangerosion verfüllt wurden. Bei den Monumentalbauten handelt es sich wohl nicht um Tempel im eigentlichen Sinn. Für das PPN B wurden bislang 13 – 14 T-Pfeilerplätze durch Survey nachgewiesen, bei denen aber bisher nur an zwei Plätzen (u. a. Karantepe (seit 2020)) Grabungen stattfanden, so dass weitere Forschungen abgewartet werden müssen.

 

Da Reste von domestizierten Tieren und Pflanzen bislang auf dem Göbekli Tepe fehlen, aber diese Mitte des 9. Jt. v. Chr. vorhanden sein müssten, handelt es sich bei den auf dem Göbekli Tepe siedelnden Menschen wohl noch um Jäger und Sammler. Laut Lee Clare gab es zwischen 8900 und 8600 v. Chr. (spätes PPN A) eine Jägerkrise und im PPN B gab es eine Aufsiedlung des Sanliurfaraumes. Möglicherweise wurden die Monumentalbauten (Sonderbauten) mit ihren "Narrativen" (Reliefs etc.) als möglicher Ausdruck von Glaubensvorstellungen dazu genutzt, um Gruppenzugehörigkeit zu fördern. In der Verfüllung von Monumentalbauten gefundene, wohl aus Gräbern am Hang heruntergerutschte, bearbeitete menschliche Schädel sind "Zeugnis für eine neue Form des neolithischen Schädelkultes".

 

 

Wir danken Herrn Dr. Lee Clare (DAI Istanbul) für den Vortrag, Herrn Prof. Dr. Joseph Maran (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg) für die Bereitstellung des virtuellen Veranstaltungsraumes, die Vorstellung des Vereins ArchaeNova e. V. und des Referenten und die Diskussionsleitung, Martin Kühner für den Livestream und allen anderen die geholfen haben.

Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Archiv Lee Clare, Oliver Memmel, Christoph Gerber, Archiv ArchaeNova. Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl