Vortrag vom 29. April 2021 von Prof. Dr. Felix Blocher (Universität Halle-Wittenberg): Nazarlebi, ein 3000 Jahre altes Heiligtum in Kachetien (Ost-Georgien)
Am Donnerstag, den 29.04.2021 um 18.15 Uhr fand ein weiterer Online-Vortrag in Kooperation mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie statt. Der früher auch einmal in Heidelberg lehrende Prof. Dr. Felix Blocher (Universität Halle-Wittenberg) hielt einen Vortrag über einen Fundplatz in Georgien mit dem Titel "Nazarlebi, ein 3000 Jahre altes Heiligtum in Kachetien (Ost-Georgien)".
Herr Prof. Dr. Joseph Maran (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg) stellte den digitalen Raum zur Verfügung und leitete die Veranstaltung. Rudolf Landauer (Luftbildarchäologe) stellte den Verein ArchaeNova e. V. und Dr. Christoph Gerber (Universität Heidelberg) den Referenten vor. Für den Live-Stream sorgte Stefan Halbedl.
Vortrag:
Herr Prof. Dr. Felix Blocher ging zunächst auf die Lage und Forschungsgeschichte des Fundortes ein. Der Fundort Nazarlebi liegt im östlichsten Teil Georgiens, im an Russland, Aserbaidschan und Armenien grenzenden Kachetien, ca. 25 km südöstlich der georgischen Kleinstadt Dedoplistskaro in den Hügeln (Nazarlebi-Berge), die die sehr fruchtbare Shiraki-Ebene südlich begrenzen. Die antiken Lebensverhältnisse in der Shiraki-Ebene werden momentan von Geologen, Geographen und Botanikern im Rahmen eines georgisch-estnisch-deutschen Projektes untersucht.
Bei dem "am Südrand der ostgeorgischen Shiraki-Ebene" liegenden Fundplatz Nazarlebi handelt es sich um eine "aus einem Geländesporn" herausgearbeitete ovale Anlage, um die sich zwei Terrassen ziehen, mit Blick in nördlicher - nordöstlicher Richtung auf die Shiraki-Ebene. Die beiden Terrassen wurden aus dem natürlichen Hügelsporn gewonnen. Im Westen wurde der Hügelsporn "vom ansteigenden Hang getrennt".
Forschungsgeschichte:
Nazarlebi wurde durch Auswertung von nach dem Zerfall der Sowjetunion zugänglichen, 1971 gemachten militärischen Luftbildern entdeckt (Georgische Forscher: B. Maisuradze/G. Mindiashvili).
Erste kleine Sondagen am Fundort Nazarlebi wurden durch B. Maisuradze und G. Mindiashvili 1992 durchgeführt. Sie ergaben eine grobe Datierung des Fundplatzes aufgrund einiger Keramikfunde (Scherben) in die Spätbronze- bis Frühe Eisenzeit (13. – 9. Jh. v. Chr.).
Eine weitere, aber nach wenigen Tagen wegen Ergebnislosigkeit eingestellte Sondage in Nazarlebi wurden durch Prof. Dr. Andreas Ernst Gottfried Furtwängler und seinem Team aus Halle im Gefolge eines Surveys in der Shiraki-Ebene durchgeführt (ca. 1997). Nach Furtwänglers Vermutung handelt es sich bei Nazarlebi um eine "Fluchtburg des mittleren 1. Jt. v. Chr.". 2007 erfolgte dann in Nazarlebi eine georgische Grabung am Schnitt von Furtwängler und an der unteren Terrasse im Bereich einer Senke (Durchgangssituation).
Georgisch-deutsches Projekt der Ilia State University Tbilisi und der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg:
Seit 2017 schließlich finden in Nazarlebi als georgisch-deutsches Projekt der Ilia State University Tbilisi und der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg Grabungen unter der Leitung von Prof. Dr. Paata Bukhrashvili (Leiter) und Prof. Dr. Felix Blocher (Stellvertretender Leiter) statt. Insgesamt wurden bislang drei Grabungskampagnen (2017 – 2019) durchgeführt.
Im Bereich des "östlichen Randes des alten Schnittes von Furtwängler" und einer daran neu angelegten Grabungsfläche stieß man unter einer wohl als "Abschluss der Terrasse" angelegte Kieselpackung auf Mauerstrukturen, welche unregelmäßig verliefen. Im Schutt zwischen den Mauern trat Keramik der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit zutage. Die gefundenen Mauerstrukturen (Art Substruktion) mit der darüber liegenden Kieselpackung sollten wohl Höhenunterschiede am Rande der Terrasse ausgleichen. Des Weiteren wurde nördlich des Schnittes von Furtwängler in einer abfallenden Senke gegraben (Tor/Eingang).
Durch Magnetische Prospektion (2018) konnte festgestellt werden, dass das Plateau scheinbar von größeren und kleineren Gruben durchzogen wird. Der 2018 angelegte Plateauschnitt 1 erbrachte Steinsetzungen, Reste von Steinmauern, Steinhaufen und einige Keramik.
Steinkreis/Depotfund 1:
In dem auch 2018 an der höchsten Stelle des Fundortes Nazarlebi angelegten Plateauschnitt 2, durch den fünf durch Geomagnetik entdeckte Grubenstrukturen untersucht werden sollten, kamen ein Teil eines Steinkreises, bestehend aus den Resten einer ca. 1 m dicken, zweischaligen Mauer mit Kieselverfüllung und ein Depotfund zutage (Depot 1). Depot 1 bestand aus einer Klappmuschel, einer Keramiktasse und 484 Bronzeobjekten (457 Votivschwerter, 4 Zierscheiben, 2 Rasiermesser, 14 Tüllenlanzenspitzen, 2 Armringe, 1 Sichel, 1 Doppelaxt, 1 Schwert mit Knauf, 1 Dolch mit Knauf, 1 axtförmiger Anhänger). Wenn man davon ausgeht, dass alle Depotstücke einst einer Person gehört haben, könnten nach Prof. D. Felix Blocher die Votivschwerter als Symbol für Reichtum, Untergebene, Waffengänge oder "für im Kampf Getötete" gedeutet werden.
Die Bronzeobjekte sind noch nicht metallurgisch untersucht. Die zweischalige Steinmauer hatte sich wohl wegen der verwendeten Steine oder wegen des unter der Mauer liegenden mit Kieselsteinen durchsetzten Untergrundes im Magnetbild nicht abgezeichnet.
2019 schließlich wurde der ganze Steinkreis (19 m Durchmesser) bestehend aus Resten der zweischaligen Mauer mit Eingangsöffnung freigelegt. Leider befindet sich in der sich nach Südosten öffnenden Eingangsöffnung der Zementunterbau eines in Sowjetzeiten angelegten trigonometrischen Punktes. Im innersten Bereich des Steinkreises gefundene Steine könnten auf Installationen (Reste von Podien? möglicherweise zur Ablage von "Opfermaterie") zurückzuführen sein.
Innerhalb der Steinkreisanlage fanden sich neben mehreren Einzelfunden (1 Schwert, 2 Rasiermesser, Pfeilspitzen, 1 Gewandnadel, 1 Hirschfigur, 1 Zeremonialgabel, Obsidianbrocken, kleine bauchige und weniger bauchige Gefäße (für Ritual?), tönerne Stempel (Brotstempel?)) im noch Westen zwei weitere, im Bereich der Steinmauer in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander zutage getretene Depots (Depot 2 und 3), wobei die jeweiligen Bestandteile der Depots in Keramikgefäßen aufbewahrt waren und keine Geräte und Waffen, sondern nur Zierrat und Schmuck aufwiesen.
Depotfund 2:
Depotfund 2 befand sich in einem kugeligen, bei der Auffindung weitgehend zerscherbten Gefäß. Es enthielt über 300 verschiedene, zerdrückte, flache, kleine Bronzegegenstände, Karneolperlen, Achatperlen, Fritteperlen, wohl Perlen aus Koralle und ein Keramikkännchen mit hellblauem Fritteüberzug. Hals und Henkel des Kännchens sind abgebrochen. Bei den Bronzegegenständen handelt es sich um Schmuckscheiben, Anhänger, Knöpfe, ein Anhänger in Form eines bronzenen Raubvogels und Zierplättchen.
Depotfund 3:
Der bis auf die 5 großen Perlen mit Depotfund 1 vergleichbare Funde aufweisende Depotfund 3 bestand u. a. aus den 5 genannten großen Perlen und aus bronzenen teilweise an bronzenen Ketten hängende Zierblättchen, halbmondförmigen Anhängern und granatförmigen Anhängern. Des Weiteren enthielt er zumindest einen an einer Kette hängenden bronzenen, glöckchenartigen Anhänger und zumindest einen an einer Kette hängenden bronzenen Vogelanhänger.
Interpretation/Shilda:
Die drei Depotfunde und die auch im Steinkreis gefundenen Kleinfunde sowie das bisherige Fehlen eines Nachweises der für Festungen und Burgen typischen Großsteinarchitektur und die Form der Anlage könnten gegen eine Deutung von Nazarlebi als Festung oder Burg sprechen und lassen auf ein ehemaliges Heiligtum der späten Bronzezeit und frühen Eisenzeit (9. – 13. Jh. v. Chr.) schließen, wie wir sie in dieser Zeit in Ostgeorgien finden. Gemeinsames Kennzeichen dieser "unterschiedlich gestalteten" Heiligtümer ist das Auftreten von Weihe- und Depotfunden. Eine gute Parallele im Hinblick auf die Anlage und die Depotfunde zu Nazarlebi bildet das in den 70er Jahren ausgegrabene, spätbronze-/früheisenzeitliche Heiligtum Shilda (Alazanital/nördlich der Shiraki-Ebene (Georgien)), wo auch eine Zweischalenmauer nachgewiesen werden konnte. In Shilda ist allerdings im Gegensatz zu Nazarlebi der jeweilige Abschluss der Mauer an der dortigen Durchgangssituation anders (antenartige Abschlüsse). Des Weiteren weisen die dort gefundenen Einbauten im Steinkreis Unterschiede zu Nazarlebi auf. Zudem liegt Shilda in der Ebene und weist andere Funde auf. So kamen in Shilda im Gegensatz zu Nazarlebi als Funde menschliche Figuren, kreuzähnliche Perlen, x-förmige Kettenglieder und Doppeltieranhänger zutage.
Grabung Untere Terrasse Nord mit Schnitt über die Böschung der oberen Terrasse 2019:
Des Weiteren wurden 2019 noch mehrere Grabungsflächen auf der unteren Terrasse angelegt, um den auf der Magnetprospektion sichtbar gewordenen rechteckartigen Strukturen nachzugehen, wobei sich abzeichnete, dass die in den natürlichen Sporn eingearbeiteten Terrassen wohl mit Steinschüttungen befestigt wurden. Bei den Grabungen hier kam nur sehr wenig Keramik zutage.
Keramik/Knochen:
Die in Nazarlebi gefundene Keramik ist derzeit noch in Bearbeitung. Typisch sind grobe, mineralisch gemagerte Gefäße teilweise mit Schnurbändern, Kammstrich in Wellenlinien, gerade Kerbungen, V- oder zickzackförmige Kerbungen, gekerbte Leisten und/oder gerade Kerbungen als Verzierung. Als Gefäßformen erscheinen meist Fläschchen und Töpfe.
Tier- oder Menschenknochen wurden in Nazarlebi möglicherweise aufgrund der Bodenverhältnisse bislang keine gefunden.
Fazit:
Aufgrund der Depotfunde, des Steinkreises, des bisherigen Fehlens des Nachweises von für Festungen und Burgen üblicher Großsteinarchitektur und der hervorgekommenen Kleinfunde auf dem Plateau ist laut Prof. Dr. Felix Blocher Nazarlebi als ein Heiligtum - wohl mit regionaler Bedeutung - und nicht als Festung, Burg oder Fluchtburg anzusprechen. Es ist in die "Gruppe der ostgeorgischen Heiligtümer der Späten Bronze und Frühen Eisenzeit (13. – 9. Jh. v. Chr.)" einzuordnen. Zweck der Terrassenringe von Nazarlebi könnte in einer Hervorhebung des Platzes liegen, aber auch zeremonielle Gründe für ihre Anlage wären möglich. Hier könnten sich einst Menschenmengen versammelt haben und vor allem die unteren Terrasse das Heiligtum umrundet haben, bevor es erlaubt war, über den Durchgang den engeren Bereich des Heiligtums zu betreten.
Wir danken Prof. Dr. Maran (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg) für die Bereitstellung des digitalen Raumen und die Leitung der Veranstaltung, Prof. Dr. Felix Blocher (Universität Halle-Wittenberg) für den interessanten Vortrag, Rudolf Landauer (Luftbildarchäologe) für die Vorstellung des Vereins ArchaeNova e. V., Dr. Christoph Gerber (Universität Heidelberg) für die Vorstellung des Referenten, Stefan Halbedl für die Ermöglichung des Live-Streams und allen anderen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben.
Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Archiv Prof. Dr. Felix Blocher, Giorgi Kirkitadze (Ilia State University Tbilisi), Oliver Memmel, Wikipedia (Kartengrundlage).
Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl