Am 12.11.2020 18.15 Uhr fand unsere zweite Online-Veranstaltung statt. PD Dr. Jörg Adam Becker (Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg) hielt einen Vortrag mit dem Titel "Das Spätneolithikum in Nord-Mesopotamien – Regionale Unterschiede, Austausch und Identität".
Leider lief wegen technischer Probleme nicht alles so glatt wie bei unserem ersten Online-Vortrag. Herr Dr. Christoph Gerber (Universität Heidelberg) sprang ein und stellte den Verein ArchaeNova vor. Die technische Leitung und die Leitung der Veranstaltung hatte Prof. Dr. Josef Maran (Universität Heidelberg) inne. Dr. Hans Georg Gebel (Freie Universität Berlin) stellte den Referenten vor. Erstmals hatten wir dank Martin Kühner sogar einen auf unserer Webseite unter dem Reiter "Termine" aufrufbaren Lifestream installiert.
In seinem Vortrag über das Spätneolithikum in Nord-Mesopotamien ging PD Dr. J. Becker - eingebettet in seine dortige Forschungstätigkeit - auf die von ca. 6100 bis 5300 existierende sogenannte Halaf-Kultur ein, welche in Nord-Mesopotamien bzw. dem nördlichen fruchtbaren Halbmond verbreitet war. Die Kultur wurde nach dem, von dem deutsch-jüdischen Orientalisten, Diplomaten und Archäologen Max von Oppenheim (1860 – 1946) 1899 endeckten und teilweise von demselben auch ausgegrabenen Siedlungshügel Tell Halaf (Nordostsyrien an der türk.-syrischen Grenze) benannt.
Die auf Ackerbau und Viehzucht beruhende Halaf-Kultur ist die erste Kultur in diesem Raum, in welcher Buntkeramik in großen Mengen auftritt, obwohl es sich um handgemachte Keramik handelt. Diese hochqualitative, teilweise polychrome Keramik weist hauptsächlich geometrische, aber auch anthropomorphe und zoomorphe - vor allem Bukranien und Vogeldarstellungen - Verzierungen auf. Vor allem die geometrischen Verzierungen könnten - zumindest teilweise - symbolische Bedeutung haben. Bisherige Untersuchungen der Halaf-Keramik weisen darauf hin, dass die Keramik lokal hergestellt wurde. Neben ihrer spezifischen Keramik ist die Halaf-Kultur gekennzeichnet durch Siegelverwendung (Stempelsiegel/Kennzeichen von Eigentum), Terrakotten (Magna Mater-Figürchen), zoomorphe und anthropomorphe Keramikgefäße (Kult?), meist außerhalb der Wohnbereiche vorgenommene Bestattungen und Rundbauten mit rechteckigen Anbau.
Teilweise könnten sie ein Giebeldach besessen habe, wie beispielsweise ein Topffragment aus Domuztepe ("Schweinehügel" (Südosttürkei)) mit aufgemalter dreistöckiger Hausstruktur, welche ein Giebeldach aufweist, nahelegt. Vereinzelt tauchen in der Halaf-Zeit auch schon Metallfunde auf. Bislang konnte noch nicht nachgewiesen werden, ob das Rind während der Halaf-Zeit nur als Fleischlieferant diente oder auch für den Ackerbau eingesetzt wurde.
Bei den größeren Rundbauten handelt es sich sicherlich um den Hauptraum einer Kleinfamilie, ausgestattet mit zentraler Herdstelle, während es sich bei den rechteckigen Anbauten um Lager- oder Arbeitsräume handeln könnte. Nach bisherigem Forschungsstand siedelten die Träger der Halaf-Kultur in kleinen Dörfern, Weilern oder saisonalen Stationen. Großsiedlungen, Sonderbauten wie Tempel etc. und reich ausgestattete Gräber konnten bislang noch nicht nachgewiesen werden. Siedlungsneu-gründungen deuten auf Bevölkerungszuwachs und Mobilität.
In dem von ca. 6500 v. Chr. bis in den Hellenismus - wenn es auch zwischendurch Siedlungshiaten gab – besiedelten Tell Halaf, in Tell Tawila (Nordostsyrien) und in Çavi Tarlasi (Südosttürkei, Rundbau mit Ofen) konnten Rundbauten mit Anbau nachgewiesen werden.
Çavi Tarlasi:
Der für die Chronologie der Halaf-Zeit wichtige und rein in der Halaf-Zeit besiedelte Ort Çavi Tarlasi (ca. 5850 – 5450 v. Chr.) war eine kleine dörfliche Siedlung mit durchschnittlich ca. 100 Einwohnern, die hauptsächlich von Ackerbau und Viehzucht lebte.
Tell Halaf: In dem durch die Ergebnisse der Grabungen von Max von Oppenheim in den Jahren 1911 – 1913, 1927 - 1929 berühmt gewordenen Tell Halaf forschte PD Dr. Jörg Becker (Nordhang, Skorpionentor, Westpalast) von 2006 bis zum Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges 2010 im Rahmen einer syrisch-deutschen Arbeitsgruppe (Leiter: Dr. Lutz Martin (Vorderasiatisches Museum Berlin), Prof. Dr. Mirko Novák (Universität Bern), PD Dr. Jörg Becker (Universität Halle-Wittenberg) und Dr. Ab del-Masih Baghdo (Leiter des Antikendienstes in Hasseke (Syrien))). Beim Skorpionentor konnten in den Schichten der Halaf-Zeit (bis zu 5 m stark am Tell Halaf) zwei Rundbauten (Rundbau 1 und 4) nachgewiesen werden. Des Weiteren wurden am Nordhang des Tell Halaf u. a. ein nur teilweise erhaltenes besonderes Gebäude mit Verputz (großer Rundbau mit Anbau) und mit Pflasterung (Hof?/Straße?), zwei kleinere Rundbaue (Rundbau 2 und 3) und ein Frauengrab (Grab 20/Übergangsphase Halaf-Obed (5300/5200 v. Chr.)) mit einem Keramiktopf als Beigabe freigelegt. Es ist zweifelhaft, ob die spätere, 6 ha große Zitadelle eine einzige größere Halaf-Siedlung bildete oder sich in einzelne kleinere Dörfer untergliederte. Siedlungsverlagerungen sind nicht auszuschließen. Am Nordabhang des Tell Halaf wurde eine kontinuierliche Entwicklung von 6500 bis 5300 v. Chr. festgestellt.
Tell Tawila:
In dem ca. 60 km südwestlich vom Tell Halaf gelegenen und unter der Leitung von PD Dr. Jörg Becker untersuchten Tell Tawila spielte in der Halaf-Zeit die Jagd eine große Rolle, wie die dort zahlreich gefundenen Wildtierknochen und Keramikschaber nahelegen (wohl um die Tierfelle von den Fleischresten zu befreien). Es konnten auch hier (Grabung Becker 2005 – 2006) Rundbauten mit zentralen Feuerstellen nachgewiesen werden. Die Halaf-Kultur ist dort von 5900 v. Chr. bis ca. 5300 v. Chr. nachgewiesen. Nach einem 800-jährigen Siedlungshiatus ist dann auf dem Tell Tawila die in Nord-Mesopotamien später als in Südmesopotamien verbreitete Obed-Kultur (Südmesopotamien: ca. 6300 – 3800 v. Chr./Nordmesopotamien: ca. 5300 – 3900/800 v. Chr.) mit ihren rechteckigen Hausformen nachweisbar.
Wir danken unserem Publikum, Herrn Prof. Dr. Josef Maran (Universität Heidelberg) für die technische Durchführung und Leitung der Veranstaltung, Martin Kühner für die Durchführung des Lifestreams, Herrn Dr. Christoph Gerber (Universität Heidelberg) für die Vorstellung unseres Vereins ArchaeNova, Herrn Dr. Hans Georg Gebel (Universität Berlin) für die gelungene Vorstellung des Referenten, PD Dr. Jörg Becker (Martin-Luther Universität Halle Wittenberg) für den tollen Vortrag und allen anderen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben.
Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Jörg Becker, Oliver Memmel. Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl