Vortrag vom 10. Juni 2021 von PD Dr. Lothar Willms (Seminar für   Klassische Philologie Universität Heidelberg):

"Saxa loquuntur: Sprach- und kulturgeschichtliche Grenzgänge im römischen Trier und Köln"

Porta Nigra (Trier/Foto: Archiv Willms)
Porta Nigra (Trier/Foto: Archiv Willms)

 

 

Am 10.06.2021 18.15 Uhr fand wieder ein Online-Vortrag von ArchaeNova e. V. mit dem Titel "Saxa loquuntur: Sprach- und kulturgeschichtliche Grenzgänge im römischen Trier und Köln" statt. PD Dr. Lothar Willms (Seminar für Klassische Philologie Universität Heidelberg) sprach über die sprachgeschichtlichen Veränderungen anhand der römischen Inschriftenkultur (Brücke zu den heutigen romanischen Sprachen) als Spiegel der politischen und kulturellen Entwicklungen des Römischen Reiches in unserem weiteren geographischen Gebiet, genauer im Kölner und Trierer Bereich. Dabei berücksichtigte er auch die sich daraus ergebenden Interpretationsmöglichkeiten in Bezug auf Kultur- und Sozialgeschichte, Bevölkerungsentwicklung und Bevölkerungszusammensetzung.

 

Herr Prof. Dr. Joseph Maran (Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Heidelberg) leitete die ganze Veranstaltung inklusive der Diskussion und stellte den digitalen Vortragsraum zur Verfügung. Prof. Dr. Kai Trampedach (Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik  Universität Heidelberg) stellte den Referenten vor. Der Verein ArchaeNova e. V. wurde von Rudolf Landauer (Luftbildarchäologe) präsentiert. Martin Kühner ermöglichte den Livestream.

Vortrag:

Kartengrundlage Wikipedia (CC BY-SA 3.0)
Kartengrundlage Wikipedia (CC BY-SA 3.0)

PD Dr. Lothar Willms ging zuerst auf die allgemeine Entwicklungsgeschichte der römischen Inschriftenkultur unter grober Berücksichtigung des Forschungsstandes ein. Bislang wurden bislang ca. 3.000 republikanische und ca. 300.000 kaiserzeitliche Inschriften gefunden, wobei in der Kaiserzeit im 3. Jh. n. Chr. (Reichskrise) ein Inschriftenfundabfall und im 4. Jh. n. Chr. ein leichter Inschriftenfundanstieg festzustellen ist. Jedes Jahr kommen aus dem Bereich des ehemaligen Römischen Reiches ca. 1.000 Inschriftenneufunde hinzu.

Köln Dionysosmosaik ca. 230 n. Chr. (Quelle: Archiv Willms)
Köln Dionysosmosaik ca. 230 n. Chr. (Quelle: Archiv Willms)

 Die Inschriftenfunde aus dem römischen, vor allem als Verwaltungs- und Handelszentrum dienenden Trier und der Grenz- und Militärstadt Köln spiegeln auch die römische Grenzsituation mit Austausch, Konflikten und Kulturbegegnung wider und zeigen exemplarisch politische, gesellschaftliche und kulturelle Tendenzen, die Europa entstehen ließen und Europa ihren Stempel aufdrückten. So lassen diese die römische Expansion, die Entwicklung des Lateinischen (Ausbreitung/Durchsetzung/Rückgang), den Niedergang des Keltischen auf dem Kontinent, die Verdrängung des heidnischen Polytheismus durch das Christentum, die Ausbreitung des Christentums, den Niedergang des Römischen Reiches und die "Ausbreitung germanischsprachiger Populationen" erkennen. Die Inschriften sind somit eine gute Quelle für die Forschung in Bezug auf Romanisierung, die Deromanisierung, die Feststellung von Identitäten und Integrationsfragen. Als Quellengrundlage dienten 450 Abweichungen vom klassischen Latein auf Inschriften aus Köln und 551 Abweichungen auf Inschriften aus Trier.

Der Referent behandelte zuerst Köln und anschließend Trier, jeweils in der chronologischen Gliederung heidnische Kaiserzeit, Spätantike und Merowingerzeit.

 

Köln:

Foto: Archiv Willms
Foto: Archiv Willms

 

Das unter Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) gegründete und in seiner Blütezeit ca. 20.000 Einwohner aufweisende Köln wurde um 50 n. Chr. unter dem Kaiser Claudius (41 – 54 n. Chr.) zur römischen Kolonie erhoben, unter Kaiser Domitian (81 – 96 n. Chr.) Hauptstadt der römischen Provinz Niedergermanien und in der Mitte des 3. Jh. n. Chr. von fränkischen Einfällen heimgesucht. Seit Anfang des 4. Jh. n. Chr. Bischofssitz wurde Köln 355/56 n. Chr. 10 Monate lang von den Alemannen geplündert und schließlich im 5. Jh. von den Franken übernommen.

 

Heidnische Inschriften der Kaiserzeit (27 v. Chr. – 284 n. Chr.):

In Köln umfasst das Inschriftenspektrum neben Grab-, Bau- und Weihinschriften und offiziellen Inschriften auf den üblichen Inschriftenträgern, zudem auch Inschriften auf Alltags- und Luxusgegenständen wie auf Glas, Keramik, Öllampen, Bronzegegenständen und auf Gold-, Silber- und Bronzeringen. Kennzeichen dieser Inschriften sind archaische Merkmale wie "u statt i im Umfeld von Labialen" (Lippenlaute (p, b, f, m)/z. B. optumus statt optimus), ŭ > o (Beispiel: vivos) und die Doppelschreibung von zwischen zwei Vokalen stehenden i (j) (eiius, huiius, maiiestas etc.). Des Weiteren sind in den Inschriften der Kaiserzeit Hyperurbanismen, also sprachliche oft fehlerhafte sich gegen sprachliche Entwicklungen stemmende Anpassungen von sozial Aufstiegswilligen an den Sprachgebrauch höherer Schichten, in diesem Falle an das urbane Latein festzustellen. So wird beispielsweise ein h vor das Wort eingefügt um dem Verstummen des Buchstaben H in der Sprache entgegenzuwirken. (z. b. have statt ave). Dann ist die Reduzierung von Doppellauten also 2 Vokalen auf einen Laut (Monophthongierung) bei ae zu e im Inschriftenmaterial zu finden (z. B. invicte statt invictae).

 

Grabmal des römischen Veteranen Poblicius (Foto: Archiv Willms)
Grabmal des römischen Veteranen Poblicius (Foto: Archiv Willms)

In Köln belegen Inschriften die Existenz eines römischen Bürgertums. Die Identität als Römer war attraktiv wie die Bezeichnung als Bürger auf einigen Inschriften nahelegt. Allerdings wird als Wort für Bürger die Form cives statt civis verwendet. Laut Willms könnte sich hierin, entsprechend zu miles und eques, sprachlich der Übergang vom Militärischen zum Zivilen in Köln nach Sicherung der Rheingrenze widerspiegeln. Bei dieser Herausbildung eines römischen Bürgertums in Köln waren auch ehemalige Soldaten beteiligt (Beispiel der Veteran Poblicius), welche sich in Kölner Raum niedergelassen haben.

 

Beim Grabmonument des römischen Veteranen Poblicius (1. Hälfte des 1. Jh. n. Chr.) zeigt sich die "Zivilisierung" exemplarisch, da Poblicius nicht in Rüstung, sondern mit Buchrolle und Toga dargestellt ist. Auch ist durch das Grabmonument die große Bedeutung von "Bildung und der Schreibfähigkeit" bei der Romanisierung dokumentiert. Letzteres belegen auch in Köln gefundene Griffel und Tintenfässer und eine vor drei Jahren gefundene, wohl zwischen 150 – 200 n. Chr. errichtete, wahrscheinlich zweistöckige und wohl einst bis zu 20.000 Schriftrollen beherbergende Bibliothek.

 

Des Weiteren wurden auch durch das römische Bürgerrecht "Menschen fremder Herkunft und einfache Menschen (Freigelassene)" integriert. Neben gemischtethnischen Ehen waren auch wirtschaftliche Interessen wie u. a. der in Köln gefundene Grabstein des Backwarenhändlers Tertinius Secundus aus dem Stamm der Nervier belegt, Motivation für eine Romanisierung. Der römische Polytheismus erlaubte die Einbindung von Kulten unterschiedlicher Herkunft und damit auch von Menschen verschiedener Herkunft. So wurden in Köln neben Nachweisen originär römischer Kulte auch Belege für keltische, germanische und ägyptische Kulte gefunden.

Weihinschrift für Matronen (141 - 200 n. Chr./Foto: Archiv Willms)
Weihinschrift für Matronen (141 - 200 n. Chr./Foto: Archiv Willms)

Bei den belegten keltischen Kulten sind besonders die sogenannte Dreiergruppe der Matres/Matronen (keltische Fruchtbarkeits- und Familiengöttinen) oft mit germanischen oder keltischen Epitheta hervorzuheben, welche von Eigenschaften der Göttinnen oder von "Orts- und Gewässernamen", also "Wirkungsstätten der Göttinnen" abgeleitet werden. Durch diese Einbettung der einheimischen Kulte konnte auch die Integration der unterworfenen einheimischen Bevölkerung erleichtert werden.

 

An germanischen Kulten ist in Köln die in der römischen Provinz Niedergermanien bislang 11 Mal belegte und besonders im Gebiet der Ubier (Hauptort Köln) verbreitete germanische Göttin Sunuxal zweimal nachgewiesen.

 Ebenso ist die Verehrung der ägyptischen Göttin Isis inschriftlich belegt. Des Weiteren zeigen sich im Inschriftenmaterial griechische Einflüsse, wohl auch eine Folge des kulturellen Austausches innerhalb des riesigen Römischen Reiches. So ist die griechische Morphologie bei "Isidi Myrionymo …" (Isis mit den zahllosen Namen/der Name Isis weist auch auf ägyptischen Einfluss) auf einer zwischen 101 – 300 n. Chr. datierten Kölner Inschrift beibehalten worden. Man hat auch vulgärlateinische Merkmale bei griechischen Eigennamen als Kennzeichen der in Köln stattfindenden Verschmelzung feststellen können.

 

 

Danach scheinen anhand des Inschriftenmaterials als Gründe für die Romanisierung der Militärdienst, die Verleihung des Bürgerrechts, interethnische Ehen, der integrative heidnische Polytheismus, wirtschaftliche Möglichkeiten, die sich ausbreitende Schriftlichkeit und die "Offenheit und Flexibilität" des Vulgärlateins auf.

Spätantike und Merowingerzeit (284 n. Chr. – 751 n. Chr.):

 

Für die Zeit der Spätantike sind bislang allgemein weniger Inschriftenfunde zutage gekommen. Es sind überwiegend christliche Grabinschriften (ca. 50), welche unregelmäßige Buchstabenformen und neue Substandard-Merkmale aufweisen (Substandard bezeichnet die Sprachebene unterhalb der Standardsprache). So fällt das H bei dem Demonstrativpromen hic fast immer weg (hunc > unc; hic > ic). Zudem treten Vokalsenkungen auf (numero > nomero, fidelis > fedelis) und zwischen langen und kurzen Vokalen wird nicht mehr unterschieden, wie Versinschriften zeigen.

 

Ferner nehmen germanische Einflüsse zu, wie die Bauinschrift des fränkischstämmigen magister militum Arbogast - Germanen erreichten also höchste römische Ämter - zeigt. Eine Grabinschrift für eine Frau aus der Zeit zwischen 401 – 500 n. Chr., also der Zeit nach Zusammenbruch der römischen Herrschaft am Rhein, weist den germanischen Namen Fugilo (vgl. dt. Vogel) auf, ohne Auftragsgeber oder Verwandte zu nennen. Eine in die Zeit zwischen 501 – 600 n. Chr. datierte Inschrift eines alten Mannes zeigt Anpassungen an die germanische Aussprache (Phonetik).

 

So wird die Aufeinanderfolge der Buchstaben c auf t dem Germanischen angeglichen. Aus hoc tumulo wird auf der Inschrift oh tumolo und octobres zu ohtuberes.

Eine zwischen 301 und 500 n. Chr. datierte Grabinschrift eines im rechtsrheinischen Gebiet gefallenen römischen Offiziers mit vielen Vulgarismen könnte Zeugnis von der angespannten militärischen Situation an der Rheingrenze in der Spätantike geben. Von der erwähnten alemannischen Plünderung 355/56 n. Chr. hat sich Köln nie mehr richtig erholt.

Im Inschriftenbefund deutet sich der militärische und migrative germanische Druck in der Spätantike an, der zu einer Deromanisierung führte. Integrationsbegünstigende urbane Strukturen wie z. B. die Bibliothek in Köln wurden zerstört. Wie das Beispiel des in römischen Diensten stehenden Franken Arbogast nahelegen könnte, waren die Germanen durchaus in der Lage, urbane Strukturen zu erhalten. Das Christentum als integrativer Faktor kam im Kölner Raum offensichtlich zu spät zum Tragen.

 

Trier :

Konstantinbasilika (Trier/Foto: Archiv Willms)
Konstantinbasilika (Trier/Foto: Archiv Willms)

Die älteste Stadt Deutschlands und aufgrund ihrer erhaltenen bedeutenden römischen Steinbauten wie Porta Nigra, Konstantinbasilika, Kaiserthermen etc. als Unesco-Weltkulturerbe ausgezeichnete Stadt Trier (Augusta Treverorum) wurde unter Kaiser Augustus (27 v. – 14 n. Chr.) im zweiten Jahrzehnt v. Chr. gegründet. Sie war in der Spätantike eine der Kaiserresidenzen im Westen des Römischen Reiches. Seit 314 n. Chr. Bischofsitz und seit 470 n. Chr. fränkisch war sie in der Spätantike mit 70.000 Einwohnern die größte Stadt nördlich der Alpen. Auch hier gibt es laut den Inschriften ein städtisches Bürgertum, durch das Christentum repräsentierte bildungsferne Unterschichten, ein keltisches und ein germanisches Superstrat. Als Besonderheit scheint aber im Trierer Raum eine noch lange Zeit bis um 1200 bestehende romanische Sprachinsel, das sogenannte Moselromanische, auf.

 

Modell des röm. Trier (4. Jh. n. Chr./Bild: Joachim Maas)
Modell des röm. Trier (4. Jh. n. Chr./Bild: Joachim Maas)

Kaiserzeit (27 v. Chr. – 284 n. Chr.):

 

Wie in Köln weist das frühkaiserzeitliche Inschriftenmaterial in Trier ein ähnliches Bild auf. Es gibt Weihinschriften, Grabinschriften, wenig offizielle Dokumente, wenig Inschriften auf Artefakten (Goldringe, Glasfläschchen, Gemmen, Keramik), aber im Gegensatz zu Köln einige Fluchtäfelchen aus Blei. Der Verlust von h und die Verwendung von qe anstatt quae sind typisch. Auf Weihinschriften sind die keltischen Göttinnen Visucia, Ritona und Sirona belegt. Auch eiius als Archaismus ist auf einer heidnischen Inschrift um 200 n. Chr. belegt. Die auf einer in die Zeit zwischen 151 – 200 n. Chr. datierte Trierer Weihinschrift erwähnte, besonders von den Treverern verehrte Sternengöttin Dirona/Sirona, welche mit der Göttin Diana gleichgesetzt wird, und der rein lateinische Name des Stifters zeigen wieder beispielhaft, wie im heidnischen Polytheismus "römisches und keltisches Element" verschmelzen.

 

Spätantike (284 n. Chr. – 476 n. Chr. (Westeuropa)):

 

In Trier wurden – was Gallien und das Rheingebiet betrifft – die meisten, bislang ca. 1.300 an der Zahl, private christliche Grabinschriften gefunden. In Lyon waren es - um Vergleichszahlen zu haben - dagegen nur 150, in Mainz 50 und in Metz 20. Diese christlichen Grabinschriften sind zum größten Teil Zeugnisse einfacher Leute mit stark formelhafter Sprache. Sie weisen zahlreiche Schreibfehler auf. Die Sprache dieser Inschriften ist eine "ausgeprägte Substandardsprache".

 

        Christliche Grabinsschrift für Martina (351 - 400 n. Chr. (Foto: Joachim Maas/Folie: Archiv Willms)
Christliche Grabinsschrift für Martina (351 - 400 n. Chr. (Foto: Joachim Maas/Folie: Archiv Willms)

Die Inschriften werden als christlich identifiziert durch auf den Grabsteinen aufgebrachte Bilder und Zeichen wie Christogramm, Fisch oder Taube, durch christliche Funktionsträger bezeichnende Wörter aus dem Griechischen wie presbyter, subdiaconus und monachus und durch "Wörter die eine christliche Wortbedeutung angenommen haben" (fidelis, pientissimus). Die größte Zahl der erwähnten Bestatteten waren Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zu 9 Jahren und alte Menschen. Junge Leute waren unter den auf den Inschriften Genannten wenig vertreten. Bei den Toten mittleren Alters handelt es sich meistens um Frauen.

 

Neben gemeinsamen Substandardmerkmalen in Phonetik (Lautlehre) und Morphologie zwischen kaiserzeitlichen heidnischen Inschriften und christlichen Inschriften treten bei den christlichen Inschriften viele neue Substandardmerkmale wie beispielsweise der Quantitätenkollaps auf (Wandel in der Aussprache der Vokale im Vulgärlatein/Angleichung der Betonung der Kurz- und Langvokale). Die Gründe für die Zunahme der Substandardmerkmale in den Inschriften sind wohl darin zu sehen, dass die Inschriften wohl nicht von professionellen Steinmetzen, sondern von mit der Schriftsprache Probleme aufweisenden Laien gefertigt wurden. Des Weiteren ist für die Zunahme von Substandardmerkmalen bei christlichen Inschriften wohl die geringere Bedeutung der Standardsprache für Christen anzuführen. Für diese waren der Glaube und ihre Bekehrung besonders wichtig, während heidnische Inschriften mehr auf das Diesseits ausgerichtet waren, wobei bei den Heiden gesellschaftlicher Status (Beruf) und ihre Lebensleistungen mehr zum Ausdruck kommen sollten. Die Standardsprache war also hier besonders wichtig. Sie belegt auch die Integration in die römische Gesellschaft und diente auch als gesellschaftliches Distinktionsmerkmal. So finden sich Archaismen und Hyperurbanismen nur in den heidnischen Inschriften.

 

,Was das Keltische betrifft so ist es (Keltisches Substrat) inschriftlich nach dem Untergang des Westteils des Römischen Reiches 476 n. Chr. in Trier durch eine zwischen 501 und 750 datierte keltische-lateinische Inschrift belegt (kelt. Name Artula (Ursula), kaba wohl keltisches nomen gentile (Geschlechtername/Familienname), "to = gall. togitoi "stellen"", "Schreibweise iu in TITIVIVM könnte das keltische [V] wiedergeben").

Möglicherweise sind auch die in ganz Gallien und Italien festzustellenden Hebungen von ē > i und von ō > u im Nominativ und Akkusativ Plural keltisch beeinflusst (z. B. statt Nom. Pl. patres Nom. Pl. patris/statt Akk. Pl. menses Akk. Pl. mensis/statt Akk. Pl. annos Akk. Pl. annus). So ist eine in Köln gefundene Töpfermarke BOLLUS FIC statt Bollus fecit (Bollus hat das hergestellt) ein regionaler Beleg für dieses Phänomen und damit für ein Bestehen des keltischen Substrates im Kölner Bereich. Dafür könnte auch der keltische Name Bollus sprechen.

 

 

Merowingerzeit (5. Jh. n. Chr.  – 751 n. Chr.):

 

Grabinschrift des Kleinkindes Merabaudes (450 – 500 n. Chr./Trier/Foto: Joachim Maas)
Grabinschrift des Kleinkindes Merabaudes (450 – 500 n. Chr./Trier/Foto: Joachim Maas)

Das in Trier gefundene Inschriftenmaterial weist in dieser Zeitspanne eine starke Zunahme von sprachlichen Neuerungen und Substandardmerkmalen auf. Germanen lassen sich in Trier nieder, wie u. a. germanische Namen auf christlichen Grabinschriften und das Fehlen von einer großen Anzahl von germanischen Namen auf dem Inschriftenmaterial der Kaiserzeit und Spätantike in Trier nahelegen. Kennzeichnend bei diesen Inschriften sind meist die unbeholfene Schrift und das Fehlen von "Titeln und Funktionen" bei den auf den Inschriften Genannten. Es handelt sich bei den auf den Inschriften genannten Personen folglich meist um "einfache Menschen" (Beispiel Trierer Grabinschrift des Kleinkindes Merabaudes (450 – 500 n. Chr./germanischer Name).

 

Grabinschrift des burgundischen Prinzen Hariulfus (Trier/spät. 4. Jh. v. Chr./Foto: Joachim Maas/Folie: Archiv Willms)
Grabinschrift des burgundischen Prinzen Hariulfus (Trier/spät. 4. Jh. v. Chr./Foto: Joachim Maas/Folie: Archiv Willms)

 Es gibt jedoch auch Belege für germanische Oberschichtsangehörige. So wurde in Trier - allerdings noch in die Zeit der römischen Herrschaft über Trier gehörend - eine ins späte 4. Jh. n. Chr. datierende berühmte Grabinschrift eines in römischen Diensten als kaiserlicher Leibgardist stehenden burgundischen Prinzen namens Hariulfus gefunden. Letztere ist möglicherweise ein Beleg für eine kurzzeitige Anwesenheit von Burgundern im Trierer Raum.

 

Grabinschrift in Hexametern für den stellvertretenden Grafen Hloderic (501–700 n. Chr./Trier/Foto: Joachim Maas))
Grabinschrift in Hexametern für den stellvertretenden Grafen Hloderic (501–700 n. Chr./Trier/Foto: Joachim Maas))
Umschrift der Grabinschrift des stellvertretenden Grafen Hloderic (501 - 701 n. Chr./Trier/Quelle: Folie Willms)
Umschrift der Grabinschrift des stellvertretenden Grafen Hloderic (501 - 701 n. Chr./Trier/Quelle: Folie Willms)

 

Dann ist wohl ein stellvertretender fränkischer Graf namens Hloderic auf einer Grabinschrift (501 – 701 n. Chr.) mit ungelenkem Schriftbild und katastrophalem Latein belegt (Satzbau/Fälle werden nicht eingehalten/Veränderungen bei den Vokalen). Dennoch deutet letztere Inschrift aufgrund der Verwendung von Latein in Hexametern (Repräsentationsbedürfnis) darauf hin, dass die Franken der Bildung aufgeschlossen waren und sich politisch im Trierer Raum organisierten (Amt des stellvertretenden Grafen (merowingische Grafschaftsverfassung)).

 

Auf dem Trierer Inschriftenmaterial tritt auch das Christentum als ein die Bevölkerung verschmelzendes Element zutage. So wird auf der auf dem Friedhof der berühmten Benediktinerabtei St. Matthias mit dem einzigen Apostelgrab nördlich der Alpen gefunden Grabinschrift der Tote namens Abbo (germanischer Name, spätes 6. bis 7. Jh. n. Chr.) mit frater (Bruder), der üblichen Bezeichnung eines Ordensangehörigen, bezeichnet. Die Inschrift zeigt beispielhaft, dass Germanen in die kirchliche Hierarchie, auch in Ämter und Würden eingegliedert wurden.

 

Wie die mangelnde lateinische Schreibfähigkeit auf den Inschriften der die Bildung tragenden Geistlichkeit zeigt, bricht das Bildungwesen nach dem Ende des Weströmischen Reiches zusammen. Im merowingischen Latein sind viele Substandardmerkmale (als Beispiel Werke Gregor von Tours (538 – 594 n. Chr.)) zu erkennen. Erst in der Karolingerzeit mit dem Einsetzen der sogenannten Karolingischen Renaissance legt man wieder mehr Wert auf klassisches Latein, was auch den Übergang zum Mittellatein markiert (Beispiel die in ihrer Echtheit umstrittene mittellateinische Grabinschrift des Amulricus (8./9. Jh. n. Chr.) aus Trier/Mittellateinisches Merkmal hier ti > ci (aus ... Martias wird Marcias)).

 

 Das Moselromanische:

 

Als Besonderheit im Trierer Raum ist noch die bis um 1200 n. Chr. existierende romanische Sprachinsel des Moselromanischen anzuführen. Romanische Substratwörter und Ortsnamen (z. B. Welschrath) haben im moselfränkischen Dialekt als letzte Zeugnisse von ihr überlebt. So leiten sich beispielsweise die Trierer Stadtteilnamen Tarforst vom lateinischen centum arbores (100 Bäume) und Aveler Tal vom lateinischen annualis ("Weinberg, der jedes Jahr trägt") ab.

 

Insgesamt zeigen die vulgärlateinischen Inschriften aus Trier auch die Entwicklung zum Moselromanischen und stellen eine Art frühe Stufe des Moselromanischen dar. Möglicherweise erleichterte auch der seit den Römern in Trier heimische Weinanbau das Mit- und Nebeneinander von "Romanen und Germanen".

Neumagener Weinschiff (um 200 n. Chr./Foto: Joachim Maas)
Neumagener Weinschiff (um 200 n. Chr./Foto: Joachim Maas)

Wir danken Herrn PD Dr. Lothar Willms (Seminar für Klassische Philologie Universität Heidelberg) für den brillanten, eine interessante Diskussion auslösenden Vortrag, Herrn  Prof. Dr. Joseph Maran (Institut für Ur- und frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie Universität Heidelberg) für die wie immer ausgezeichnete Leitung der Veranstaltung und Diskussion und für die Zurverfügungstellung des digitalen Raumes, Herrn Prof. Dr. Kai Trampedach (Seminar für Alte Geschichte und Epigraphik Universität Heidelberg) für die hervorragende Vorstellung des Referenten, Herrn Rudolf Landauer (Luftbildarchäologe) für die vortreffliche Vorstellung des Vereins ArchaeNova e. V, Martin Kühner für die Durchführung des Livestreams und allen anderen, die zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen haben.

 

Konstantinbasilika innen (Trier/Foto: Archiv Willms)
Konstantinbasilika innen (Trier/Foto: Archiv Willms)

Text: Karl-Heinz Halbedl. Fotos: Joachim Maas, Archiv PD Dr. Lothar Willms, Stefan Halbedl, Wikipedia (u. a. Kartengrundlage). Folien: Archiv Willms

Seitenbearbeiter: Karl-Heinz Halbedl